Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
nicht eilig.«
»Ich muss jetzt leider gehen, Mijnheer Pastor. Nur noch eines: Können Sie mir den Mann beschreiben?«
»Tja, er war um die fünfzig, hatte lockiges graues Haar und eine Brille mit dünnem Gestell, glaube ich. Er war ein wenig gesetzt. Ansonsten kann ich mich an nicht mehr viel erinnern.«
»Hm, wären Sie eventuell bereit, ins Präsidium zu kommen und den Mann zu identifizieren?«
»Wow, wie spannend. Ist das Ihr Ernst?«
»Noch ist es nicht sicher, aber es könnte notwendig sein.«
»Ja, natürlich, Sie können auf meine Mitarbeit zählen. Jede Kleinigkeit hilft schließlich. Wie weit sind Sie eigentlich mit Ihren Ermittlungen? Die Leute haben Angst.«
»Äh … das kann … das darf ich Ihnen leider nicht verraten.«
»Natürlich nicht, war eine dumme Frage, es ist ähnlich wie beim Beichtgeheimnis, nicht wahr?«
»Ja, so ähnlich.«
Dieselben hallenden Schritte wie zu Beginn der Aufnahme. Der Pastor begleitete ihn zu seinem Wagen. Dann Straßenlärm.
»Ist Ihnen sonst irgendetwas Verdächtiges aufgefallen, als Sie bei Mevrouw Pauwels waren?«
»Nein, nichts Besonderes. Aber wenn mir im Zusammenhang mit dem bewussten Tag noch etwas einfällt, sage ich Ihnen Bescheid.«
»Danke. Hier ist meine Karte, oder besser, die Karte des Untersuchungsrichters, Jos Bosmans.«
»Könnte ich vielleicht Ihre Nummer haben? Sie kenne ich ja jetzt persönlich.«
Der Escort sprang röchelnd an, dann war es still. Im Grunde hatte er bei Hermans viel zu wenig Zeit in die Personenbeschreibung des verdächtigen Besuchers von Mariette Pauwels investiert. Warum konnte der Pastor sich nur an so wenige Einzelheiten erinnern? Weil er angetrunken gewesen war? Deleu nahm sich vor, dem Pastor einen weiteren Besuch abzustatten. Diese Spur hatte er wirklich nicht gründlich genug verfolgt. Pastor Hermans war aufs Präsidium gekommen, hatte aber niemanden erkannt. Deleu meinte sich zu erinnern, dass Hermans auch an diesem Tag von einer Grand-Cru-Fahne umweht war. Er lächelte, leerte sein Hoegaarden und schaute auf die Wanduhr: halb eins. Rob hatte versprochen, spätestens um halb eins zu Hause zu sein.
Deleu beschloss, nicht aufzubleiben, dachte an seine Jugendzeit zurück und stieg leise die Treppe hinauf. Er wusste, dass er noch stundenlang wachliegen würde. Irgendetwas störte ihn an den Aussagen des Pastors, aber was … Er kam nicht dahinter, noch nicht.
Als er oben an der Treppe stand, ging die Haustür auf. Rob, der sichtlich erschrak – wohl, weil zu dieser späten Stunde noch Licht brannte –, schlich herein und schaute auf seine Armbanduhr.
»Mama?«, flüsterte er.
»Ich bin’s«, antwortete Deleu mit gedämpfter Stimme.
»Papa?«
»Ja, ich bin’s«, sagte Deleu noch einmal und ging wieder hinunter. »Und, war’s schön?«
»Geht so.«
Als sein Vater das Wohnzimmer betrat, ging Rob in die Küche. Deleu hörte ihn im Kühlschrank rumoren und folgte ihm. Rob wandte ihm den Rücken zu und trank von seinem Glas Milch. Deleu nahm sich vor, Rob ein wenig über die Tochter von De Tremmer auszuhorchen. Das Thema »Bienchen und Blümchen« würde er ein andermal anschneiden.
Deleu ging an den Kühlschrank, dachte dabei angestrengt darüber nach, wie er seine Frage am besten formulieren könnte, holte sich ein kaltes Pils und setzte sich Rob gegenüber. Sein Sohn, der junge Mann mit den sanften Gesichtszügen und den weich fallenden Locken, Barbaras Ebenbild, hatte ein blaues Auge und eine rote Schramme auf der rechten Wange.
»Hey, was ist denn da passiert?«
»Nichts.«
»Bist du gegen die Tür, oder besser, gegen die Theke gelaufen?«
»Nein, es ist nichts, Papa.«
Deleu rieb sich die Augen, gähnte und stand auf. Er ging zu Rob hin, tippte ihm mit dem Zeigefinger an die Stirn und sah sich den Schaden genauer an. »Hmmm, sieht ja schlimm aus.«
Rob schwieg noch immer hartnäckig, und Deleu wurde allmählich sauer.
»Was ist los? Du siehst ja aus wie ein Häufchen Elend!«
Rob starrte wortlos ins Leere.
»Gut, du kannst es ja morgen deiner Mutter erklären.«
Deleu drehte sich um und ging kopfschüttelnd ins Wohnzimmer.
»Erklär du’s ihr doch!«, fauchte Rob erregt.
Deleu kam zurück, mit der Absicht, seinem Sohn einmal tüchtig den Kopf zu waschen.
»Was bildest du dir eigentlich ein? Du bist gerade mal vierzehn. Vergiss das nicht. Ich bin immer noch dein Vater!«
Keine Reaktion.
»Und wenn du meinst, du bräuchtest von jetzt an nicht mehr auf uns zu hören,
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