Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
obwohl es sich kalt anfühlte, befürchtete Florence das Schlimmste. Wahrscheinlich hatte es ihre Tochter hier getrieben. Sonst hätte sie doch eben niemals so schnell an der Haustür sein können, oder?
Florence lief puterrot an. Als sie auf dem Nachtschränkchen ein Telefon stehen sah, zog sie wütend das Kabel hinten aus dem Apparat, marschierte zurück in die Diele, schleppte ihre Tochter an einem Arm mit hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
»So! Der ruft nicht mehr an!«
»Wie meinst du das?«, fragte Maggie und versuchte mit ihrer Mutter Schritt zu halten, die die Treppe hinaufstürmte.
»Ich habe das Kabel rausgerissen. Es war niemand in der Wohnung. Wer wohnt da, Maggie?«
Maggie blickte stumm ins Leere.
Das Telefon klingelte. Maggie, die gelassen in ihrem Schaukelstuhl saß, lachte hysterisch, und Florence marschierte zum Telefon.
»Hallo … Wer ist da?«
Beethovens Fünfte. Das Pfeifen wurde schriller und schriller. Florence hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg, hörte aber noch immer dieses schrille Pfeifen. Es schien durch das ganze Zimmer zu schallen. Florence drehte sich mit einem Ruck zu ihrer Tochter um. Ihre Augen funkelten mordlüstern.
»Haustelefon«, murmelte Maggie.
»Was ist hier drüber?«
»Ein Speicher, Mama, ein als Büro ausgebauter …«
»Als Bordell, wolltest du wohl sagen! Wie komme ich da rauf?«
»Über die Treppe da.«
Florence blickte hinauf zur Decke.
»Nein, Mama, bitte, bitte nicht! Bleib bei mir! Ich hab dich lieb, Mama!«
Maggie schlug die Hände vors Gesicht und weinte lautlos. Doch sie kam nicht gegen den Fleischkoloss an, der sich einen Weg nach oben bahnte, sie hatte nicht die Kraft, wegzulaufen, und auch nicht den Mut, die Polizei anzurufen. Maggie ergab sich in ihr Schicksal.
Ein lauter Schlag brachte sie in die Realität zurück. In dem Augenblick, als sie aufsprang und zum Telefon rennen wollte, schwang die Tür zum Büro auf. Mit Todesangst in den Augen blickte Maggie dem entgegen, was da kommen würde.
Die Gestalt in der Türöffnung verursachte ihr einen Krampf am ganzen Körper. Mit geblähten Nasenflügeln holte sie Luft, als sei es ihr letzter Atemzug. In Bruchteilen von Sekunden – durch das Adrenalin waren all ihre Sinne geschärft – erkannte sie, dass die Gestalt, die da mit blutigem Gesicht in der Tür stand, Pastor Hermans war.
Maggie Uyttebroeck stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und hob die Arme zum Himmel, als greife sie nach der Ewigkeit. Die Art, wie der Pastor in vollem Ornat die Treppe hinunterstieg, hatte etwas Majestätisches. Sein sanftmütiges Lächeln stand in krassem Gegensatz zu seinen kalten Augen, die quer durch Maggie hindurchsahen. Während er langsam die Treppenstufen hinabstieg, ertönte von oben kein Engelsgesang.
Es war die Fünfte, die Maggie die Beine unter dem Körper wegzog.
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28
Der Schlächter treibt weiter sein Unwesen!
Skandal um Parteiführer des Vlaams Blok!
Topfahnder Deleu: Affäre mit einer Zeugin!
J os Bosmans graute vor den Schlagzeilen, aber er opferte dennoch das Geld für eine Tageszeitung.
Er wollte schon alle drei kaufen, entschloss sich aber schließlich für
Het Volk
mit der Überschrift: »Der Schlächter treibt weiter sein Unwesen!« Er faltete die Zeitung zwei Mal zusammen, steckte sie in die Innentasche seines Mantels, überquerte den Botermarkt, spähte durch die Scheibe ins Bistro
Croissy
und ging dann erst hinein. Er blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um und setzte sich schließlich auf seinen Stammplatz ganz weit hinten.
Er wartete geduldig auf die Serviererin und bestellte Kaffee, eine Apfeltasche und ein Baguette mit Curryhuhnsalat. Die Serviererin, ein junges Mädchen mit einem Piercing im linken Nasenflügel und klobigen Schuhen, die ihre dünnen Beine noch zusätzlich betonten, schaute ihn ein wenig zu lange an, ehe sie lächelte. Dabei hatte er das Mädchen noch nie gesehen. Er runzelte die Stirn, zog die Zeitung aus der Innentasche und schlug sie auf.
Der Schlächter treibt weiter sein Unwesen!
Harry Luyten, der Mörder der Eppegemer Jugendlichen Paul Opdorp und Sofie van Kant, ist nicht der Schlächter. Obwohl die Mecheler Kripo bereits seit längerer Zeit über Hinweise verfügte, dass der Schlächter noch auf freiem Fuß war, ließ sie die Öffentlichkeit darüber im Ungewissen, angeblich, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Dass es dadurch weitere Opfer geben könnte, wurde offenbar nicht bedacht.
Staatsanwalt
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