Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
Arme um den Oberkörper und setzte sich in den Schaukelstuhl. Sie zitterte. Wo war noch mal der verflixte Thermostat?
Als sie in die Küche ging, um die Heizung höher zu drehen, hörte sie einen dumpfen Schlag, als fiele ein Schrank um, und dann nichts mehr. Der Krach kam aus Marthas Wohnung. Maggie legte ein Ohr auf den Fußboden und schloss die Augen. Nichts. Sie holte ein Glas, schob den Läufer beiseite, stellte das Glas umgedreht auf den modrigen Holzfußboden und presste das Ohr daran. Doch wie angestrengt sie auch lauschte, sie hörte keinen Laut mehr.
Maggie wollte schon hinunterrennen, doch sie besann sich und eilte zum Telefon. Sie wählte die Eins und wartete, eins, zwei, drei, vier, fünf, klick. Als wäre der Hörer abgenommen und sofort wieder aufgelegt worden. Mit zitternden Fingern wählte sie erneut die Eins. Besetzt.
Maggie wartete einen Augenblick, warf den Hörer auf die Gabel, holte ihre Taschenlampe vom Büfett und rannte die Treppe hinunter. Heftig atmend trommelte sie mit aller Kraft an Marthas Tür.
»Martha, Martha, Martha!«, schrie sie in höchster Verzweiflung.
Als sie gerade tief Luft holte und Anlauf nahm, um die Tür einzurennen, bemerkte sie, dass ein Zettel halb unter der Tür hindurchgeschoben war. Sie bückte sich, hob ihn auf und entzifferte mühsam die krakelige Handschrift:
Bin mal kurz weg.
M. De Vriese
Mit gemischten Gefühlen bugsierte Josef Hermans den knochigen Körper von Mevrouw De Vriese in den Kleiderschrank. Er steckte den Zeigefinger in die klaffende Kopfverletzung, betrachtete ausgiebig seine klebrige rote Fingerspitze, lutschte daran und kostete ihr süßes Blut. Es schmeckte weder frisch noch verdorben. Josef Hermans runzelte die Stirn, steckte zwei Finger in den blutigen Brei und malte sich rote Streifen auf die Wangen. Er schlug flüchtig das Kreuz, ging ins Schlafzimmer, betrachtete sich im Spiegel, versuchte, den Streifen auf der linken Wange zu verbreitern, und hörte jemanden schreien und an die Tür hämmern.
Als er leise zur Haustür schlich, sah er, wie sein Zettel darunter hervorgezogen wurde. Er ging in die Hocke, betrachtete sich mit unverhohlener Bewunderung in dem hohen Spiegel – den kräftigen Körper, die männlichen Gesichtszüge, das volle Haar – und fragte sich, ob ein Gott sich solche Spielchen, so unzeremoniell und im Grunde würdelos, eigentlich erlauben konnte oder durfte.
Josef Hermans lachte lautlos – Gott macht, was
er
will –, schlich zur Haustür und legte sein Ohr daran. Er schloss die Augen, befeuchtete seine trockenen Lippen und musste sich zwingen, nicht laut aufzuschreien. Er atmete tief durch die Nase ein und roch wieder den Urin und den Dreck, den Poulders ausgeschieden hatte, als er ihn fest an der Kehle packte und ihm mit einem Stich die Nieren durchbohrte. Diesen wunderbaren Abend würde Hermans niemals vergessen. Poulders’ Nutte, diese Michelle Verworst, hatte ihn hereingelassen und ihn von oben herab gefragt, ob er vielleicht eine leitende Position in der Kirche bekleide, weil er so spät noch arbeite. Aber das Lachen war ihr schnell vergangen, als er, Josef Hermans, seine göttliche Macht entfaltete. Mein Gott, wie er sich mit diesem Weib amüsiert hatte! Das Grinsen auf seinem offen stehenden Mund gefror, als er sich wieder in der Küche stehen sah, die blutigen Hände zum Himmel erhoben und Gott verfluchend für diese große Ungerechtigkeit. Es war sein Recht, Vergeltung für die Sünden zu üben, die seine Schäfchen ihm beichteten!
Er hob die aufgerissenen Augen gen Himmel und starrte durchdringend hinauf zur rissigen Decke. Er kicherte, drückte ein Ohr gegen die Tür und summte vor sich hin:
»The powers that be, yeah, yeah. The powers to me, yeah, yeah.«
Er hörte Maggie, nur durch eine Holzschicht von ihm getrennt, schwer atmen und fasste sich heftig erregt in den Schritt.
Maggie schob den Zettel wieder unter der Tür durch und stieg in Gedanken versunken die Treppe hinauf. Wo war Martha denn so plötzlich hingegangen? Mal kurz weg? Um diese Uhrzeit? Was war hier eigentlich los?
Auf halbem Weg nach oben überlegte sie es sich anders und ging wieder hinunter. Die Haustür war geschlossen. Sie schaute durch die Fensterscheibe hinaus. Draußen war es stockdunkel und regnete Bindfäden. Sie drehte sich um und merkte, dass die Kellertür einen Spalt offen stand. Hatte Martha sie nicht eben hinter sich zugezogen? Mein Gott, sie hatte doch nicht etwa jetzt damit angefangen, ihren Keller
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