Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
Hermans war nicht Luyten, sondern dem Mörder begegnet. Warum war er nicht imstande, eine stichhaltige Personenbeschreibung abzugeben? Je länger Deleu darüber nachdachte, desto unlogischer erschienen ihm die Aussagen des Pastors. Irgendetwas stimmte nicht mit Josef Hermans. Deleu konnte es nicht einordnen, aber seine jahrelange Erfahrung und seine Intuition trieben ihn zu dem Pastor hin und sagten ihm, dass die Lösung hier zum Greifen nahe lag. War es irgendetwas, was er in der Kirche gesehen hatte? Ein hölzernes Kruzifix? Nein, es hingen keine Holzkreuze in der Kirche.
Er erinnerte sich an die Wortliste, die Bosmans auf die Flipchart geschrieben hatte. Ein Putzlappen? Ein Kinderstühlchen? Spinnen? Religiöse Symbole? Angenommen, der Pastor kannte den Täter tatsächlich. Würde Deleu es wagen, ihn danach zu fragen? Aber wie?
Deleu kniete sich auf das abgewetzte Holzbrett und fragte sich, wo der schwache Lichtschein herkam. Er faltete automatisch die Hände und blickte nach oben. Der kleine, aber starke Halogenstrahler schien ihm jetzt genau ins Gesicht und blendete ihn.
»Ja, mein Sohn?«
Deleu lief es kalt den Rücken hinunter. Das war alles so unwirklich.
»Äh, Mijnheer Pastor, ich bin es, Dirk Deleu. Sie wissen schon, von der Kripo Mechelen.«
Deleu, der auf ein »Nennen Sie mich doch Jef« gehofft hatte, erntete lediglich ein kurzes »Ja?«.
»Äh, ich hätte Ihnen gerne noch einige Fragen bezüglich Ihres Besuchs bei Mariette Pauwels gestellt.«
»Sie befinden sich in einem Beichtstuhl, Mijnheer Deleu!«
Die Worte klangen ungemein hart und kalt. Deleu zuckte zusammen.
»Ein geweihter Ort im Hause Gottes!«
»Tut mir leid, aber ich muss Ihnen wirklich dringend noch einige Fragen stellen.«
Die Stille schien eine Ewigkeit zu dauern. Deleu räusperte sich und rieb die feuchten Hände aneinander.
»Im Zusammenhang mit den Morden an den Poulders?«
»Ja, richtig. Würden Sie mir vielleicht …«
»Habe ich nicht kürzlich in der Zeitung gelesen, dass Sie von den Ermittlungen abgezogen wurden, Mijnheer Deleu?«, unterbrach ihn Hermans.
Der zynische Unterton war Deleu nicht entgangen.
»Ja, ganz recht, aber ich wollte Sie auf persönlicher Basis sprechen.«
»Möchten Sie gerne mit mir über Ihre Probleme reden?« Hermans’ Stimme klang jetzt sanfter.
»Nein, eigentlich nicht, ich …«
»Du brauchst dich für nichts zu schämen, mein Sohn. Wenn es jemanden gibt, dem du deine Sorgen anvertrauen kannst, dann mir«, unterbrach ihn Josef Hermans.
»Ja, aber …«
»Warum bist du eigentlich noch in der Gegend? In der Zeitung stand, du würdest in den Ardennen wohnen? Wäre es nicht besser, du würdest deiner Ehefrau in dieser für sie schweren Zeit beistehen?«
Deleus Muskeln wurden allmählich steif. Auf diese Entwicklung war er nicht vorbereitet. Er spürte, dass Hermans, der sich als waschechter Demagoge erwies, die Zügel wieder einmal fest in die Hand genommen hatte. Dieser Mann wechselt seine Gemütszustände wie ich die Unterhosen, dachte Deleu und begriff, dass ihm nicht viel übrig blieb, als das Spiel mitzuspielen.
»Ich würde gerne meine Sünden beichten, Mijnheer Pastor«, flüsterte Deleu und verwünschte sich, weil seine Worte nicht die Spur aufrichtig klangen.
»Erzähl nur, mein Sohn«, flüsterte Josef Hermans und fuhr dabei mit dem Zeigefinger über die Spitze der Stricknadel. Dieser Kerl ahnte etwas. Man sah es seiner Fresse an. Hermans spähte heimlich durch die Gardine. Draußen wartete noch ein Gläubiger, und irgendwo musste auch der Küster herumschwirren.
»Nun, in einem schwachen Moment habe ich mich gehenlassen. Ich bin zweimal bei dieser Hure gewesen und habe dazu noch Einzelheiten über die Ermittlungen preisgegeben. Ich habe meine schwangere Frau betrogen.«
»Ehebruch ist die schlimmste aller Sünden!«, donnerte die Stimme des Pastors durch den Beichtstuhl. Deleu betrachtete seine Hände, die im schwachen Lichtschein zitterten. Wieder dieser Limburger Dialekt. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren: Limburger Dialekt … Purpurrote Stofffaser … Über jeden Verdacht erhaben … Beichtstuhl … Beichtstuhl !Das konnte doch nicht wahr sein! Unmöglich! Dann ertönte wieder diese salbungsvolle Stimme:
»Aber ich habe Verständnis für dich, Dirk, das Fleisch ist schwach. Ich vergebe dir alle deine Sünden. Sei fortan ein guter Ehemann und sorge dafür, dass deine schwangere Frau von jetzt an stolz auf dich sein kann. Du kannst jetzt gehen und zehn
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