Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
war.
Dominique Mardulier, ein erfahrener Profi in Sachen Kundenbindung, konnte diesmal ein hörbares Schlucken nicht unterdrücken und sagte gespielt heiter: »Aber Vicky, du wirst unser Institut doch nach all den Jahren nicht verlassen wollen, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Ich brauche nur dringend Geld. Wie viel genau wird innerhalb der nächsten vierzehn Tage fällig?«
»Exakt zehntausend, Vicky, ich hab’s inzwischen schon mal aufgerufen.«
»In Ordnung. Dann löse bitte das Sparbuch auf und verkaufe unverzüglich die Effekten. Alles Übrige sehenwir dann später«, sagte Michelle, die das Heft wieder in die Hand nahm, aber sicherheitshalber beschloss, sich nicht weiter nach anderen möglichen Geldanlagen von Vicky Versavel zu erkundigen. Ein breites Lächeln erschien auf ihren Lippen. Also hatte ihr Opfer ja doch Geld. Wie praktisch, dann konnte sie diese Identität für eine Weile beibehalten und die Leichenteile einfach in die Tiefkühltruhe packen, anstatt sie in der Gegend zu verteilen.
»Na schön. Wann möchtest du vorbeikommen?«, fragte Dominique Mardulier bedauernd.
»Vorbeikommen?«, fragte Michelle ungewollt schrill und hätte beinahe vergessen, sich die Nase zuzuhalten. »Dominique, wie lange kennen wir uns jetzt schon? Das wird sich doch wohl telefonisch regeln lassen?«
»Tut mir leid. Die Überweisung vom Sparbuch auf dein Girokonto kannst du telefonisch veranlassen, aber Effekten verkaufen ohne deine Unterschrift, das geht nun wirklich nicht. Schließlich dient es der Sicherheit unserer Kunden, dass bestimmte Formalitäten Vorschrift sind, und du wirst gewiss Verständnis dafür haben, dass ich …«
»Dann erledige nur die Überweisung«, sagte Michelle barscher als beabsichtigt. »Ich habe heute wirklich keine Zeit.«
»In Ordnung. Ich faxe dir ein Überweisungsformular, du faxt es unterschrieben zurück, und morgen kommst du wegen der Effekten vorbei. Der Fälligkeitstermin ist schließlich noch nicht ganz erreicht. Abgemacht?«
Michelle entschloss sich zum Rückzug und antwortete daher freundlich: »Also gut, schick mir das Fax und warte ab, bis die Effekten fällig werden, aber überweise das Geld bitte innerhalb von vierzehn Tagen auf mein Konto.«
»Geht in Ordnung, Vicky.«
Sie stellte das Telefon auf Faxbetrieb um und ging hinüber zur Küchenanrichte. So viel Geld und nicht mal ein Kombigerät, dachte Michelle abfällig.
Sie rümpfte die Nase über den ekelhaften Geruch und war heilfroh, dass Fifis sterbliche Überreste wunderbar in den Plastikeimer passten, den sie unter der Anrichte hervorzog. Über die Blutspuren auf dem Dielenboden goss sie einen Schuss Bleichmittel. Wenn sie es eine Weile einwirken ließ und dann ein bisschen Bohnerwachs benutzte, müsste es reichen. Während sie den Teppich ausrollte, spie das Fax summend eine Nachricht aus.
Die Unterschrift von Vicky Versavel zu fälschen erwies sich als Kinderspiel – es waren einfach zwei ineinanderfließende Vs, so wie ein Kindergartenkind zwei Möwen gezeichnet hätte. Mit einem vergnügten Funkeln in den Augen schickte Michelle das Fax zurück. Vicky Versavel besaß eine Scheckkarte, eine Kreditkarte und Schecks und damit mehr als genug Möglichkeiten, ihr Geld auszugeben.
31
»Kennst du Elaine Parent?«, fragte Bosmans, während er seinen tropfnassen Lodenmantel aufknöpfte und auf den nächsten Stuhl warf. Er ließ sich auf die khakigrüne Samtbank in der hintersten Ecke der Taverne De Kleine Keizer sinken. Die Bänke und Tische in dem Lokal waren von mannshohen Mauern mit einer kuppelförmigen Aussparung im oberen Teil umgeben. Das ermöglichte eine Unterhaltung unter vier Augen, und doch brauchte man sich nicht von dem geselligen Treiben rund um die Theke ausgeschlossen zu fühlen.
»Kennen ist wohl zu viel gesagt. Aber natürlich habe ich schon viel von ihr gehört«, antwortete Deleu mit dem Lächeln eines Steuerfahnders, der einem Mehrwertsteuerbetrug auf der Spur ist.
»Hm«, brummte Bosmans, der sich nicht mal die Mühe machte, seinen Mantel zum Trocknen aufzuhängen. Er griff nach dem bereitstehenden schäumenden Hoegaarden und nahm durstig einen Schluck.
Deleu rechnete schon damit, dass Bosmans sich jetzt den Mund mit dem Ärmel seines grauen Pullovers abwischen würde, aber das tat er nicht.
»Wer ist sie, Dirk?«
»Na ja, so genau kann ich sie nicht beschreiben, aber ich weiß, dass sie eine äußerst gefährliche und international gesuchte Frau ist, die bereits mehrere Morde auf
Weitere Kostenlose Bücher