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Bosmans/Deleu 02 -Totenspur

Bosmans/Deleu 02 -Totenspur

Titel: Bosmans/Deleu 02 -Totenspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luc Deflo
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mit großen Schritten zur Ausgangstür.

30
     
    Als Michelle Bekaert am nächsten Morgen beim Frühstück saß, hatte sie einen salzigen Geschmack im Mund. Verstimmt rührte sie in ihrem frisch gepressten Orangensaft, stellte entnervt fest, dass ihr Ei nicht weich-, sondern hartgekocht war, und warf seufzend einen Blick über den halb gedeckten Frühstückstisch. Sie stand auf und ging zur Haustür, wobei sie die Leichenteile, die noch immer auf dem Berberteppich herumlagen, schlichtweg ignorierte.
    Sie schlug das lokale Anzeigenblättchen auf und überflog die Inserate der Wohnungssuchenden. Nebenbei rührte sie in der Tasse mit dem zu dünnen Kaffee. Es gelang ihr nicht, sich zu konzentrieren, und schließlich schob sie die Zeitung zur Seite. Mit einem bitteren Zug um den Mund dachte sie daran, dass sie den Teppich noch säubern musste, und beschloss, das Ei trotzdem zu essen.
    Zwei Zigaretten und ebenso viele Seufzer später machte sie sich endlich ans Werk. Lustlos legte sie das Werkzeugwieder in die Kiste und stellte sie in die kühle Abstellkammer. Dann trug sie die Kiste doch zurück ins Wohnzimmer, denn vielleicht brauchte sie das Werkzeug noch. Letzten Endes entschied sie sich doch wieder für ein paar Flaschen Cola.
    Lächelnd hob sie die beiden abgehackten Hände vom Berberteppich auf und trug sie mit gerümpfter Nase zum Herd.
    Wie auch immer, Vicky Versavel musste beseitigt werden. Von der Bildfläche verschwinden. Andererseits war dieser Identität sowieso kein langes Leben beschieden. Diese Versagerin besaß wahrscheinlich keinen roten Heller.
    Am vergangenen Abend hatte Michelle das ganze Haus noch einmal gründlich durchsucht, doch außer einem Sparbuch mit läppischen 1000 Euro nichts Nennenswertes gefunden. Sie nahm das gelbgrüne Mäppchen vom Esstisch und sah sich noch einmal die Kontobewegungen an.
    Kurz vor Monatsende hatte Vicky regelmäßig rund 400 Euro vom Sparbuch auf das Girokonto überwiesen. Die 1000 waren nur der Rest von ursprünglich 25 000 Euro. Vor dreieinhalb Jahren waren auf einen Schlag 20 000 Euro auf dem Sparbuch eingegangen. Ob das Geld überwiesen oder bar eingezahlt worden war, ging aus dem Kontoauszug nicht hervor, auch der Name des edlen Spenders wurde nicht ersichtlich.
    Gerade als sie seufzend das Mäppchen wieder zuklappen wollte, fiel ihr auf, dass darin eine Visitenkarte derKBC-Bank steckte. Sie zog diese heraus, drehte sie um und betrachtete sie aufmerksam. Öffnungszeiten, Name des Filialleiters – Michel Lacroix – Adresse und Telefonnummer.
    Michelle tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen die Lippen und ließ die Karte wie ein routinierter Zauberer zwischen den Fingern ihrer rechten Hand rotieren.
     
    »KBC-Banken- und Versicherungsgruppe Mechelen, Dominique Mardulier am Apparat, was kann ich für Sie tun?«, ertönte es freundlich.
    »Hier ist Vicky Versavel«, meldete sich Michelle mit zugehaltender Nase, doch noch bevor sie den vorbereiteten Satz – »Ich bin Kundin in Ihrer Filiale« – aussprechen konnte, sagte der Herr am Telefon freundschaftlich: »Vicky, Mädchen, was ist denn mit dir los? Bist du mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden?«
    Michelle, vollkommen überrumpelt, schluckte zwei Mal, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle und stellte sich wie eine professionelle Schauspielerin auf die Situation ein. »Wenn du wüsstest, Dominique!«, sagte sie und fügte scherzend hinzu: »Nein, mein Freund, falsch geraten, ich bin nur furchtbar erkältet.«
    Die unheilvolle Stille umgab Michelle wie eine heranschleichende Giftwolke, und sie hielt den Atem an.
    »Und?«, fragte der Mann forschend.
    Sie beschloss, dem allmählich aus dem Ruder laufendenSpielchen ein Ende zu bereiten: »Hör mal, Dominique, ich habe leider wenig Zeit. Ich möchte nur mein Sparbuch kündigen. Könntest du mir bitte die gesamte Summe aufs Girokonto überweisen?«
    »Wieso? Hast du dir etwa ein neues Auto gekauft?«, fragte der stellvertretende Filialleiter. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass man ein Sparbuch, den Anker der Kundenbindung, am bestens niemals ganz kündigt, fügte er noch hinzu: »Außerdem verfallen, wenn ich mich recht erinnere, in den nächsten vierzehn Tagen wieder einige Effekten für ungefähr zehntausend Euro.«
    »Verkaufe sie doch bitte auch gleich, ich brauche dringend Bargeld«, entfuhr es Michelle in einem Anfall von Habsucht. Kaum war es heraus, begriff sie aufgrund des Schweigens in der Leitung, dass sie zu weit gegangen

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