Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
das Lächeln auf ihren Lippen, und sie schlich vorsichtig näher heran. So nah, dass ihre Wimpern beinahe den Deckel des Schuhkartons berührt hätten. Auf dem Karton lag ein Foto in einem vergoldeten Rahmen.
Es war eindeutig eine Aufnahme von Frank Tack, auch wenn er jünger aussah. Ein bisschen jünger, aber das war nicht das Entscheidende. Er sah anders aus. Seine Haare waren kürzer, viel kürzer, und er trug einen militärischen Haarschnitt.
Bestimmt macht der ihn jünger
. Mit diesem Gedanken versuchte Nadia, ihr beunruhigtes Gemüt zu beschwichtigen. Denn was sie wirklich verwirrte, waren die anderen Menschen auf dem Foto. Der kleine Junge, den Frank auf dem Arm hielt, überraschte sie nicht weiter, aber die bildhübsche Asiatin, die an seinem anderen Arm hing und ihre Wange gegen seine Schulter drückte, jagte ihr regelrecht Angst ein.
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D eleu saß im Auto und war unzufrieden. Obwohl sich seine Vermutung bewahrheitet hatte, war er aus dem Gespräch mit Perdieus nicht sehr viel schlauer geworden. Abram war tatsächlich über ein Jahr lang sein Informant gewesen. Ein Gefallen hier, ein kleiner Job dort. »Ein Informant für den guten Zweck«, so hatte sich Abram selbst bezeichnet. Wenn er Perdieus glauben konnte, war dieses Arrangement lange Zeit gutgegangen, und zwar so lange, bis Abram beschloss, den Vertrag einseitig aufzukündigen und auf seinen lukrativen Nebenjob zu verzichten. Perdieus behauptete, die genauen Gründe nie erfahren zu haben.
Nervös blätterte Deleu in dem roten Notizbuch herum. Die Seiten fühlten sich immer noch kühl an, und die Handynummer mit den Initialen S. C. dahinter spukte ihm durch den Kopf.
Abram fungierte über ein Jahr lang als Informant für Commissaris Perdieus. P. V. Perdieus, Victor. Über Abrams Beziehung zu Marouf konnte mir der alte Commissaris auch nichts Sinnvolles berichten. Abram hat Maroufs Vertrauen missbraucht und der Polizei Hinweise gegeben. So viel ist sicher. Von der großen Schmiergeldsumme wusste auch der alte Perdieus nichts.
Deleu fuhr sich durch die Haare. Er glaubte dem Commissaris. Was hätte es Perdieus genützt, ihn jetzt noch zu belügen? Das Büchlein blieb an der Stelle aufgeklappt, an der die Telefonnummer stand, denn sie faszinierte Deleu maßlos. Wie sehr er sich auch das Gehirn zermarterte, er kam einfach nicht weiter. Er holte sein Telefon aus der Jackentasche, hielt jedoch unschlüssig inne. Auf einmal hatte er wieder Danielle vor Augen und erinnerte sich daran, wie er damals gezögert hatte, Kontakt zu ihr aufzunehmen und eine Verabredung zu vereinbaren. Er beschloss, es vorher noch einmal bei Bosmans zu versuchen.
Wieder ging Vereecken ans Telefon, und Deleu legte auf, ohne sich zu melden. Sein Entschluss stand fest.
Die erste Telefonzelle, an der er unterwegs vorbeikam, war besetzt. Er trat die Kupplung, überlegte es sich anders und kuppelte wieder aus.
In solchen Gegenden sind öffentliche Telefone dünn gesät. Außerdem ist dieses hier schön abgelegen und anonym.
Als die Dame mit dem Schoßhündchen die Zelle verließ, atmete Deleu tief durch. Dann betrat er die glühend heiße Telefonzelle, legte das Buch neben sich, klappte es auf und drückte es mit der Faust glatt. Er steckte seine Telefonkarte in den Schlitz und fluchte verhalten. War überhaupt noch ein Guthaben darauf? Ja, die Karte war noch fast halb voll, das musste reichen. Er wählte die Handynummer, und als das Freizeichen ertönte, hielt er die Luft an. Im nächsten Augenblick stieß er einen hässlichen Fluch aus. Eine Mailbox meldete sich, und zwar ohne dass die Identität des Besitzers genannt wurde. Als Deleu den Signalton hörte, presste er den Hörer in der Faust zusammen, und frischer Schweiß tropfte auf den klebrigen Boden der Zelle, die sich inzwischen in einen Backofen verwandelt hatte. Die Tür einen Spalt zu öffnen wagte er jedoch nicht. Hintergrundgeräusche konnten sich nun mal weder Geiselnehmer noch andere anonyme Anrufer erlauben.
»Ich weiß alles!«, flüsterte Deleu. »Ich rufe in einer halben Stunde wieder an. Wenn Sie dann nicht drangehen, übergebe ich das komplette Beweismaterial der Polizei.« Deleu warf den Hörer auf die Gabel und marschierte mit Riesenschritten zu der Dorfkneipe auf der anderen Straßenseite. Er bestellte ein Hoegaarden, musste sich aber mit einem Haechter Weißbier begnügen. Plötzlich riss er die Augen weit auf und fluchte aus tiefstem Herzen.
Das Schmiergeld! V. C.! Verspaille, Claude! Das darf
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