Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
ich nicht einfach meinen Gefühlen nachgeben, ihr um den Hals fallen und sie vom kleinen Zeh bis zur feuchten Muschi und dann bis zu ihrem liebreizenden Scheitel küssen? Warum falle ich nicht in Ekstase auf die Knie? Warum reiße ich keinen sexuell gefärbten Witz? Warum erwarte ich, dass sie meine geheimsten Wünsche errät? Warum kann ich nicht einfach ich selbst sein? Warum?
»Ja. Und ich wollte nicht weg, ohne mich vorher zu verabschieden.«
»Von mir oder von Willeke?«
»Von Willeke, aber auch von dir.«
»Abschied, das klingt so definitiv, so unwiderruflich.«
»Das stimmt auch. Ich gehe weg. Für immer.«
Verbist hätte am liebsten laut aufgeschrien.
Ach, was soll’s. Vielleicht ist es besser so. Ich habe jetzt ein Kind, und sie, sie ist zu jung,
versuchte er sich zu beruhigen.
»Ach, das tut mir leid. Na dann, hoffentlich bis bald.«
»Gibst du Willeke einen dicken Kuss von mir?«
»Ja … Jaja … Aber was stehen wir denn hier vor der Tür, komm doch rein!«
»Okay, aber nur ganz kurz.«
Chris trat ein, küsste Wichtchen und fragte: »Schläft sie?«
»Nein, sie tut nur so.«
Sein Versuch zu scherzen entlockte ihr den Anflug eines Lächelns.
»Whiskey-Cola mit einer Scheibe Zitrone?«
»Du hast es nicht vergessen.«
Zufrieden ging Verbist in die Küche, wo er Tee zubereitete, mit Milch, ohne Zucker und ohne Zitrone.
Er setzte ihr die Tasse vor und murmelte: »Mit Milch, ohne Zucker, ohne Zitrone.«
»Als wären wir schon zwanzig Jahre verheiratet«, bemerkte Chrissie, und ihre Hand zitterte, als sie die Tasse zum Mund führte. Sie hatte kleine rote Punkte am Handgelenk.
Masern? Windpocken? Ist sie noch so jung?
Verbist fühlte sich leer und wertlos, und das Herz rutschte ihm in die Hose.
Junge Mädchen können sich gar nicht vorstellen, zwanzig Jahre verheiratet zu sein. Erst wollen sie ihre Barbie-Puppen, dann werden sie renitent. Sie wollen frei sein. Wie war ihre Kindheit? Wann hat sich ihr Busen gerundet? Mit zwölf? Mit zwölf habe ich Schmetterlinge gesammelt. Ein Serienmörder mit Garnelennetz. Das Netz war meine Tarnung. Wie viele von den elfenhaften kleinen Wesen, wie viele dieser wunderbaren Geschöpfe habe ich nicht mit einem Fingerschnippen getötet? Wie leid mir das heute tut! Manchmal schrecke ich nachts in Schweiß gebadet hoch, weil ich von ihren knackenden Köpfchen und zitternden Leibern träume.
Herman Verbist schwitzte.
Aber ihre Hand zittert. Was hat das zu bedeuten? Sie trägt noch immer diesen geilen schwarzen Rock. Ihr linker Kniestrumpf ist runtergerutscht, nicht zu viel, nicht zu wenig, genau richtig. Sie hat außergewöhnliche Knie. Die meisten Frauen trauen sich nicht, einen Minirock zu tragen, weil sie knubbelige Knie haben. Aber Chris, meine Chrissie, hat zarte Knie und schmale, zierliche Knöchel. Gelenke, die man mit einem Fingerschnippen brechen könnte. Sie sieht so zerbrechlich aus, dass ich am ganzen Körper zittere.
Chris blickte noch immer sittsam vor sich hin und sagte nichts.
Das ist nicht die Chris, die ich gestern kennengelernt habe. Will sie mir gefallen? Will sie ihren Mutterinstinkt beweisen? Begreift sie vielleicht, dass Männer wie ich, dass solche Männer ihr keine Stabilität bieten können? Sucht sie überhaupt Stabilität?
»Bist du krank?«
»Nein, warum?«
»Du bist so still.«
»Ich glaube, ich habe jetzt schon Heimweh.«
Nach mir?
Die Frage brannte ihm auf den Lippen, aber er beherrschte sich.
Verliebtheit ist ein Gefühl, das stärker ist als jedes andere, also auch als jede Vernunft. Ebenso wie das Schicksal stärker ist als die Weisheit.
»Was willst du in Holland?«
»Ich ziehe in eine Kommune.«
»Warum?«
»Weil ich Ärger mit meinen Eltern, meinen Lehrern, meinem Freund und sogar mit meinem Opa habe.«
»Wie alt bist du wirklich?«, fragte Verbist leise.
»Siebzehn, und du?«
»Siebenunddreißig«, seufzte er.
»Ein Mann muss älter sein als seine Frau, wesentlich älter sogar. Männer werden viel später erwachsen, manche sogar nie.«
»Bist du erwachsen?«
»Ich hoffe nicht.«
»Gut, du hast es also verstanden.«
Sie küsste ihn mitten auf den Mund, und ihr Frontalangriff ließ ihn erstarren. Ihr glatte Zunge glitt zwischen seine Lippen.
Herman Verbist leistete keinen Widerstand. Er schmeckte die Süße der Siebzehnjährigen, und die Hormone pulsierten durch seinen Körper. Er erwiderte ihren Kuss. Unbeherrscht und geil. Er begrapschte sie auf gut Glück überall, wo er sie zu fassen bekam. Ihr
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