Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
erwiderte Chris traurig.
»Warum denn nicht?«
»Er würde mich finden.«
»Glaubst du vielleicht, ich sei nicht Manns genug, ihm eins in die Fresse zu hauen?«
Ihm eins in die Fresse hauen, habe ich gesagt. In die Fresse hauen. Ich spiele mich auf wie ein Amsterdamer Zuhälter, obwohl ich in Wirklichkeit ein feiger Angsthase bin. So feige, dass ich das Tageslicht scheue. So feige, dass ich aus purem Selbstmitleid in Tränen ausbreche, wenn mich auch nur jemand schief anguckt.
Chris saß in sich zusammengesunken auf dem Sofa und trank zittrig von ihrem Tee.
»Das ist nicht der einzige Grund.«
Alle drei schwiegen jetzt, sogar Wichtchen, und die Stille wurde allmählich drückend.
»Ich muss Frank die tausend Euro geben, ich kann nicht mit der Vorstellung leben, Schulden zu haben.«
»Ach, hier kannst du es nicht, aber in Holland könntest du?«
»Lass mich in Ruhe!«, schrie Chrissie nervös.
Während Verbist verzweifelt nach einer plausiblen Entschuldigung für seine ungeschickte Bemerkung suchte, legte Chris Wichtchen unsanft auf das Sofa, stand auf und ging zur Tür.
Unser erster Streit.
Verbist folgte ihr und versperrte ihr mit ausgebreiteten Armen den Weg. Sie boxte ihm mit aller Kraft in die Magengrube. Nach Luft schnappend ging er in die Knie.
Chris schlug die Hände vor das Gesicht und sah ihr Opfer durch die gespreizten Finger entsetzt an. Sie half ihm auf und entschuldigte sich.
Ihr Kichern ging in einen erneuten Lachanfall über. Wichtchen wedelte fröhlich mit den Händchen. Verbist zog Chris zu Boden, und sie küssten sich leidenschaftlich. Sie roch nach Schweiß, was ihn maßlos erregte. Sie keuchte und wand sich unter seinen gierigen Fingern.
»Nein, nicht jetzt. Nicht hier. Willeke sieht uns.«
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Mittwoch, 26 . November – 20 Uhr 12
E velyne Pardieu wirkte noch ernster als sonst, als Deleu und Nadia Mendonck den ruhigen kleinen Konferenzraum im Mechelener Polizeipräsidium betraten. Evelyne stellte ihre Teetasse auf dem Porzellanuntersetzer ab und drehte sie, bis der feuerrote Lippenstiftabdruck auf die Ermittler zeigte.
»Guten Abend, Evelyne.«
»Guten Abend, Dirk, hallo, Nadia.«
Evelyne Pardieu, Gerichtspsychologin und in Quantico, USA , geschulte Spezialistin für Täterprofile, schob ihre schwarze Hornbrille hoch und sah Deleu fast mitleidig an.
»Ist es so schlimm?«, fragte Nadia Mendonck.
Die Gerichtspsychologin zog ein Spitzentaschentuch aus dem Ärmel und tupfte sich die Lippen ab. Sie räusperte sich und zupfte an ihrem knielangen Tweedrock.
»Schlimmer, als ihr euch vorstellen könnt. Nach meinen Informationen und dem jetzigen Stand der Ermittlungen muss ich tatsächlich befürchten, dass es zur Katastrophe kommt. Der Täter ist schizophren und dadurch kaum in der Lage, für sich selbst zu sorgen.«
»Wie schwer schizophren?«, fragte Deleu händeringend.
Evelyne Pardieu hüstelte kokett, setzte ihre Brille ab und tippte mit dem Zeigefinger ihre gezupfte und mit Kholstift nachgezogene Augenbraue an.
»Ich habe mich mit Doktor Verstraete und mit der Mutter von Herman Verbist unterhalten, die in einer geschlossenen Anstalt lebt, dem Damiaancentrum in Tremelo.«
»Das habe ich auch getan«, sagte Nadia mit einem besorgten Zug um den Mund.
»Ist er ein Psychopath?«, fragte Deleu.
»Ich will euch offen und ehrlich meine Meinung sagen«, antwortete Evelyne Pardieu, während sie mit dem Taschentuch ihre Brille putzte.
»Tu das.«
»Es gibt sehr viele unterschiedliche Formen von Schizophrenie, und die Erkrankung durchläuft verschiedene Stadien. Doch wenn Herman Verbist dasselbe Krankheitsbild aufweist wie seine Mutter und nie auf entsprechende Medikamente eingestellt wurde, ist er lebensgefährlich, weil vollkommen unberechenbar. Sogar für sich selbst. Und ich darf gar nicht daran denken, dass er dabei auch noch ein Baby versorgen will. Dazu ist er keinesfalls in der Lage.«
»Wird er das Kind töten?«, fragte Nadia Mendonck, und ihr Gesicht wurde aschfahl.
Deleu sah sie überrascht an.
»Nicht unbedingt. Obwohl man es bei seiner Vorgeschichte nicht genau sagen kann. Ich habe mir die Akte angesehen.«
Evelyne Pardieu, die kinderlos und mit ihrem Beruf verheiratet war, tippte sich gedankenverloren an die Lippen.
»Schon bei der geringsten Stresseinwirkung kann der Mann katatonisch werden, das heißt, dass seine gesamte Muskulatur nicht mehr reagiert und er vollkommen bewegungsunfähig ist. Und genau das könnte dem kleinen Kind zum Verhängnis
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