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Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd

Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd

Titel: Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luc Deflo
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zusammengekrümmt in seinem Golf; ihm war schwindlig und speiübel. Er griff nach dem Lenkrad, ließ seine pochende Stirn auf den Rücken der rechten Hand sinken und sog zischend die Luft ein. Der Sauerstoff machte ihn nur noch benommener. Seine andere Hand umklammerte ein zerknittertes Stück Papier. Er warf einen Blick auf den Brief. Es sah aus, als würde er die Wörter lesen, doch das war unmöglich – dafür war es viel zu dunkel. Außerdem kannte er sie auswendig. Deleu hob den Kopf und starrte hinaus auf die dunkel dahinplätschernden Wellen, auf denen ab und zu ein Lichtreflex aufblitzte. Der Golf stand direkt am Ufer des Willebroek-Kanals, die Motorhaube zum Wasser ausgerichtet.
    Geräuschlos murmelten seine Lippen die Worte vor sich hin. Sie waren in sein Gedächtnis eingebrannt. Dann musste er plötzlich lächeln – müde, gequält, ohne zu wissen, warum. Bilder aus der Vergangenheit tauchten auf, einfach so, aus dem Nichts. Sie überfluteten sein erschöpftes Gehirn, und er ließ sich bereitwillig von ihnen fortspülen. Dieses Spiel, damals mit seinen Freunden, wie hieß es noch gleich? Es war ein Spiel gewesen, bei dem man Pfeilen folgen und alle möglichen Aufträge ausführen musste. Die Pfeile wurden damals mit Kreide auf den Bürgersteig gekritzelt. Sie führten in regelmäßigen Abständen zu Kreidekreisen auf dem Boden, und dort musste man dann Aufgaben lösen, die einen wieder auf die nächste Spur brachten.
    Deleu fragte sich, ob Hermans in seiner Jugend auch solche Spielchen gespielt hatte. Ob er einen Vater und eine Mutter gehabt hatte. Ob er jemals Kind gewesen war.
    Zum zigsten Mal murmelte er die Worte.
»Fahr zum Willebroek-Kanal. Schieb dein Auto ins Wasser. Geh zur Telefonzelle an der Ecke unter der Brücke. Ich rufe um 22  Uhr 15 an. P. S.: Wenn du mit dem Auto vor der Telefonzelle erscheinst, werde ich jemandem einen Finger abhacken, und zwar … hm … Manchmal bin ich einfach so sprunghaft.«
     
    Deleu schaute auf seine Uhr. Fünf nach zehn. Wütend schlug er mit der Faust auf das Armaturenbrett. »Du Dreckskerl! Du mieser, verdammter Dreckskerl!«
    Er löste die Handbremse, trat einen Schritt zurück, und während der Golf langsam im Wasser verschwand, setzte er sich in Bewegung – am Kanal entlang in Richtung Brücke, zu den Lichtern, zum Telefon.
    Als er noch zehn Meter entfernt war, hörte er das Telefon schon klingeln. Die Klapptür der Zelle knallte gegen die Wand. Der Hörer rutschte ihm aus den Händen und schlug gegen die Glaswand der Kabine. Hektisch griff er danach.
    »Ja? Hallo? Hallo!«
    Stille.
    »Hallo!«
    »Ich hatte dir doch gesagt, du solltest zu Fuß kommen und dein Auto …«
    »Mein Auto liegt im Kanal. Ich bin zu Fuß«, keuchte Deleu. »Ich … ich …«
    Das heisere Kichern auf der anderen Seite brachte seinen Wortschwall ins Stocken.
    »Hast du schon dein neues Fahrrad gesehen?«
    Deleu schluckte. Sein Gehirn hielt dem Druck nicht mehr stand. Er blieb stumm.
    »Der Ersatzschlüssel für das Fahrradschloss liegt in der Telefonzelle. Er steckte in seiner Brieftasche.« Wieder ein Kichern. »Genauso vergesslich wie du.« Plötzlich wurde der Ton beißend: »Fahr über den Kanal zur Verbrande Brug. Dann weiter nach Eppegem. Vor der Fortis Bank ist eine Telefonzelle. Um … hm … halb elf klingelt dort das Telefon. Bist du müde?«
    Die letzte Frage überraschte Deleu völlig – so viel Mitleid lag in diesen Worten.
    Ein Bonbonpapierchen. Zwei Zigarettenstummel auf dem Boden. Seine Augen suchten weiter. Seine Finger glitten suchend über das kalte Metall des Telefonapparats, stießen auf etwas Hartes, oben auf dem Kasten. Dirk Deleu blickte auf seine Faust und öffnete langsam die Finger. In seiner Handfläche lag ein Schlüssel.
    »Also nicht. Sei pünktlich. Ich hab hier zwanzig Finger zum Spielen. Jede Minute einer – was hältst du davon? Oder sagen wir: Alle fünf Minuten einer. Ich bin kein Unmensch.«
    Klick.
    Es war ein Damenrad. Völlig verrostet. Deleu glitt mit den Fingern über die Blase am abgefahrenen Hinterreifen. Wieder einmal hatte jemand seinen Rat in den Wind geschlagen. Der Reifen war noch immer nicht ausgetauscht.
    Deleu rüttelte an der Kette. Kräftige Glieder, mit blauem Kunststoff ummantelt. Es war das Schloss, das er im letzten Monat gekauft hatte, bei Dockx am Brusselse Poort. Gekauft für Rob, seinen Sohn.
    Dirk Deleu stöhnte auf wie ein verwundetes Tier. Er musste sich mit den Händen auf den Knien abstützen, die

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