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Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd

Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd

Titel: Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luc Deflo
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lieber nicht gestört werden.«
    »Katrien? Welche Katrien?«
    *
    Fünf Straßen weiter lag die Honda knatternd und mit durchdrehendem Hinterrad auf dem Bürgersteig. Eppegem-Centrum, eine Kreuzung von fünf Straßen mit genau so vielen Geschäften, lag einsam und verlassen da. Und wenn jemand um diese Uhrzeit noch unterwegs gewesen wäre, hätte er einen großen Bogen um die Telefonzelle gemacht.
    Dirk Deleu kratzte mit dem Fingernagel über den Hörer, als ob das Telefon jeden Augenblick zu sprechen beginnen könnte. Dann trat er gegen die Zellentür.
»Mist.
Zu spät.
Mist! Mist! Mist!«
    Was jetzt? Nachdenken. Nachdenken. Du musst nachdenken!
    Er wandte sich um und starrte auf das stumme Telefon. Dann hob sich sein Blick langsam und streifte über die Wand der Telefonzelle. Über dem rechteckigen Apparat hatte jemand einen Pfeil auf die Wand gekritzelt – kindlich, krumm, mit seitwärts führenden Strichen an beiden Seiten des Schafts. Vier auf einer Seite, drei auf der anderen.
    Deleus Finger tasteten suchend umher. Oben auf dem Apparat klebte ein Stück Papier.
     
    Familie Poulders lädt Sie herzlichst zu einem geselligen Beisammensein ein. Die Festlichkeiten beginnen um Mitternacht. Bitte kommen Sie zu Fuß.
    Ein Freund der Familie
     
    Deleu konnte seinen Augen kaum glauben. Seine Finger kneteten den Papierfetzen zu einem winzigen Kügelchen zusammen. »Jos. Ich muss Jos benachrichtigen«, murmelte Deleu. Er drehte sich um und suchte in seinen Hosentaschen nach einer Münze.
    Doch es gab keinen Münzschlitz – die Belgacom hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Apparat damit auszustatten. Er fand nur zwei Schlitze, einen mit dem Etikett »Maestro« und den anderen mit einem Telefonkartensymbol der Belgacom. Deleu zog seine Brieftasche hervor, steckte seine Kreditkarte in den oberen Schlitz und wählte die Nummer von Bosmans. Beim ersten Freizeichen legte er wieder auf. »Nein. Er beobachtet mich. Er sieht alles.«
    Das geht nicht. Das kannst du nicht machen. Sie können sonst wo eingesperrt sein. Sie werden verhungern, wenn ich … wenn ich … Und Rob. Er hat Rob.
    Die Klapptüren der Telefonzelle schwangen auf. Das warme Gummi des Hinterreifens hinterließ einen Streifen auf dem Asphalt.
    Deleu wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er fühlte keine Schmerzen. Keine Trauer. Kein Mitleid. Keinen Hass. Er war gefühllos geworden.
    *
    Dirk Deleu stand unschlüssig vor der Tür der Villa der Familie Poulders. Hager und bleich. Sein Adamsapfel zuckte unruhig auf und ab. Es schien, als ob jede Faser seines Körpers unter Spannung stand. Unvermittelt lief ihm eine Träne über die Wange. Er wischte sie mit einer schnellen Bewegung seines Ärmels weg.
    Plötzlich drehte er sich um. Ein Rascheln. Dort irgendwo in den Büschen. Er hielt den Atem an und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, aber in dem überwucherten Garten war nichts zu erkennen. Deleu wandte sich wieder dem Haus zu. Überall waren Spuren des Verfalls zu sehen; wahrscheinlich war es noch immer unbewohnt. Kein Makler würde diese Immobilie je verkaufen können – nicht nach dem fürchterlichen Blutbad, das hier vor zwei Jahren stattgefunden hatte. Genau hier in diesem Haus, mitten in dieser ruhigen Wohnsiedlung.
    »Oder ist es noch länger her?«, murmelte Deleu und schaute hinüber zur Nachbarvilla. Dieses Mal brannte dort kein Licht. Er erinnerte sich an den kalten Dezemberabend, als er zum ersten Mal hier gewesen war. Allein. Um sich den Tatort einmal in Ruhe anzusehen. Um sich einzuleben. Um sich eins zu fühlen mit den Tätern, um den verschlungenen Wegen ihrer deformierten Psyche zu folgen. Um den Tod zu riechen.
    Angst. Schmerz, Kummer, aber vor allem Angst. Er wollte nur noch weg. Sich einfach umdrehen und weglaufen. Irgendwohin, wo er in Sicherheit war.
    »Warum? Warum hier?«
    Deleu warf den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Ein monotones Dröhnen drängte sich in seine Gedanken: die Eisenbahnlinie Brüssel–Antwerpen. Der herannahende Zug schien ihn aus seinem Zustand der Unschlüssigkeit zu reißen. Die Pflastersteine vor der imposanten Eingangstür glänzten nicht mehr; sie waren stumpf und teils von Unkraut und Grasbüscheln überwuchert. Deleu fuhr mit der Schuhspitze über die Steine. Sie wirkten fast schwarz. Moos und getrockneter Schlamm. Fäulnis. Verfall. An manchen Stellen waren die Fugen aufgeplatzt.
    Zehn nach zwölf. Der letzte Zug von Brüssel nach Antwerpen. Was willst du von mir, du Schwein? Was soll

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