Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
verschwand der Colt langsam wieder unter seinem Mantel. Bosmans machte einen Schritt auf den prähistorischen Apparat zu. Schon der Anblick ließ ihm die Haare zu Berge stehen, ohne dass er genau gewusst hätte, warum. Er spulte das Band zurück.
»Die Intimität und das Zusammensein. Das habe ich nach Dirks Weggang am meisten vermisst.«
»Barbara. Barbara Wittewrongel«, sagte Bosmans in einem Ton, als ob er routinemäßig die alltägliche Frage eines Kollegen beantwortete.
»Aber ich … ich verstehe, dass er mich verlassen musste. Dirk konnte damit nicht leben. Dirk ist ein Gefühlsmensch. Immer … ehrlich. Es ist meine Schuld, ich hätte die Signale besser deuten müssen, ich …«
Die Worte brachen ab; dann hörte man ein unterdrücktes Schniefen. Und dann kamen die Tränen. Die bitteren Schluchzer gingen Bosmans durch Mark und Bein. Seine Kopfhaut begann zu prickeln. Sein ganzer Körper juckte.
»Ich habe nie aufgehört zu hoffen. Zu hoffen, dass er seine Arme um mich legt … und … und mir sagt, dass alles gut wird. Ich werde ihn immer lieben. Ich kann nichts dagegen tun.«
»Ich auch … Ich auch. Es tut mir leid. Es tut mir so leid, Barbara.«
Jos Bosmans brauchte einen Moment, bis er begriff, was er da hörte. Erst als er instinktiv in seiner Manteltasche nach den Zigaretten suchte, die nicht mehr dort waren, wurde ihm klar, dass Barbara Wittewrongel mit Nadia Mendonck sprach.
»Ihr beide, nackt in einem Bett. Du mit meinem Mann. Hast du seine Brust gestreichelt? Seinen Hintern? Weißt du, was ihn erregt? Und was nicht? Er hat mich kaputt gemacht, ich sehe keine Zukunft mehr. Und jetzt ist er weg. Für immer. Und ich kann mich nicht daran gewöhnen. Ich schaff’s einfach nicht. Ich will zwar, aber ich kann nicht. Sein Stuhl, sein Platz am Küchentisch. Er steht heute noch da. Leer. Ich habe es nicht übers Herz gebracht. Ihn wegzustellen, meine ich. Doch es musste sein … Im Moment wohne ich wieder bei meinen Eltern. Die Leere in unserem Riesenhaus war zu erdrückend. Manchmal frage ich mich, welche Sachen er mittlerweile kauft. Und ob sie ihm gut stehen. Kleidungsstücke, die ich nie gewaschen habe. Nicht mal angefasst habe. Nie anfassen werde. Und wenn ich ihn sehe, soll ich ihm dann die Wahrheit sagen? Oder soll ich den Mund halten, wenn mir auffällt, dass auf seinem Hemdkragen ein Fleck ist?«
Ein nervöses Lachen.
»Eigentlich ziemlich dumm.«
Es folgte eine kurze Pause. Jos Bosmans spielte unbehaglich mit den Knöpfen seines Mantels. Er kam sich vor wie ein Eindringling, ein dreister Voyeur.
»Er ist der Mann meines Lebens, Nadia. Ich liebe ihn. Immer noch. Und das ist eine Qual. Also warte ich … warte darauf, dass der Schmerz nachlässt. Es heißt, dass er mit der Zeit verschwindet. Also warte ich.«
»Was soll ich darauf antworten?«
»War es die Sache wert? War es gut? Wie fühlte es sich an? Was habt ihr beide gefühlt? Es macht mich verrückt, Nadia. Verrückt.«
»Es tut mir leid. Wirklich. Er war einsam, Barbara. Genau wie ich. Wir haben nicht nachgedacht. Wir sind darin ertrunken. Es war animalische Anziehung.«
»Das ist alles meine Schuld, ich weiß es. Jetzt weiß ich es. Liebst du ihn? Ich liebe ihn. Mit jeder Faser meines Körpers.«
»Damals noch nicht. Heute schon. Ich will nicht lügen.«
»Was hat er dir über mich erzählt? Über uns?«
Die Worte klangen gepresst – als ob Barbara sich bewusst war, dass sie diese Frage nicht hätte stellen dürfen.
»Nichts.«
»Aber du hast gesagt, dass er einsam war.«
»Ja.«
»Sorry, ich hätte nicht fragen dürfen. Wie läuft es mit … mit der Schwangerschaft?«
»Ich fühle mich eigenartig, Barbara. Glücklich. Zumindest manchmal. Aber auch ängstlich. Und jetzt … jetzt … o mein Gott.«
»Gib mir deine Hand.«
Obwohl es nichts zu sehen gab, wandte Bosmans den Blick vom Kassettenrekorder ab. Plötzlich jagte ihm ein Schauer über den Rücken. Die folgenden Worte kamen schleppend, mit einer sonoren Bassstimme:
»Wie rührend, meine Damen. Mir kommen gleich die Tränen. Zwei Mütter. Das glückliche Kindchen hat zwei Mütter. Bleibt mir nur noch die schwere Aufgabe, das Würmchen der legitimen Mutter unterzuschieben.«
Ein hechelndes Kichern folgte, und Jos Bosmans schmeckte plötzlich Blut im Mund und stellte fest, dass er sich auf die Lippe gebissen hatte. Er schaute aus dem Fenster, hinaus in die Dunkelheit der Nacht.
»Dirk. Mein Gott, Dirk, wo steckst du?«
*
Dirk Deleu hockte
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