Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
Griff. Der stoppelhaarige Kopf drehte sich ein wenig in seine Richtung, und zwei Augen funkelten ihn zornig an. Obwohl sein Kinn vor unterdrückter Wut zitterte, hob Deleu beschwörend die Hände, bereit für jede Art von Zugeständnis – egal, worum es sich dabei handeln sollte. »Wie lautet dein Auftrag? Was soll ich tun?«
»Erst das Handy.«
Deleu holte das Handy aus der Hosentasche, warf einen Blick darauf und legte es in die geöffnete Handfläche. Ehe er begriff, was geschah, knallte der Apparat auf das Pflaster und wurde von einem schweren Springerstiefel zertrampelt. Deleu blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Reglos starrte er auf das zerbrochene Handy.
Der Umschlag berührte seine Schuhspitze, drehte sich einmal um die eigene Achse und rutschte in eine schlammige Pfütze. Das Papier verfärbte sich, musste aber recht wasserbeständig sein, denn als der Kripobeamte sich endlich danach bückte, war er noch nicht durchweicht. Deleu presste den Umschlag mit beiden Händen gegen die Brust, schloss die Augen und ließ langsam alle Luft aus seinen Lungen entweichen. In der Zwischenzeit hatte sich der Junge schnell wie der Blitz aus dem Staub gemacht. Als Deleu aufschaute, war er schon längst um die Straßenecke verschwunden. Doch Deleu nahm das alles gar nicht mehr wahr: Er rieb den Umschlag sorgfältig trocken und riss ihn dann langsam und zögerlich auf.
*
Die Finger schlossen sich um die Türklinke und drückten sie langsam und vorsichtig hinunter. Doch das erwartete Knarren blieb aus, und zu Bosmans’ Überraschung schwang die Tür zu Deleus Wohnung weit auf. Der Untersuchungsrichter war verblüfft: Das stand nicht im Drehbuch. Bosmans wusste zwar aus Erfahrung, dass sein Freund die Zerstreutheit in Person sein konnte, aber er hätte nie erwartet, dass Deleu unter diesen Umständen seine Haustür nicht abschloss.
Unmöglich. Ist Dirks Sohn in der Wohnung? Sucht er vielleicht seinen Vater?
Sie hatten versucht, Deleus Sohn aufzuspüren, aber in seiner Studentenbude in Leuven hatte sich niemand gemeldet, und auf Nachfrage stellte sich heraus, dass Rob am Tag zuvor die Vorlesung versäumt hatte. Aber bis auf das Damenfahrrad, mit dem er immer zur Uni fuhr, war nichts von seinen Sachen verschwunden. Seitdem wurde die Villa von Deleus Schwiegereltern Tag und Nacht bewacht. Rund um die Uhr. Aber es war zu spät – ihre Maßnahmen kamen immer zu spät.
Der Vibrationsalarm ließ Bosmans erschreckt zusammenfahren. Er fluchte und holte sein Handy aus der Tasche. Es war Staatsanwalt Bauwens. Bosmans schaltete den Apparat ab.
Er warf einen Blick über die Schulter. Hatte er nicht gerade ein Schleifen gehört? Doch da war nichts – im kahlen Treppenhaus herrschte Totenstille.
Der Untersuchungsrichter spähte vorsichtig in die Wohnung, aber im Inneren war alles so dunkel, dass er noch nicht einmal die Umrisse von Möbeln erkennen konnte.
Mit der Schuhspitze stieß er die Tür weiter auf. Er erwartete ein Knarren, doch das blieb auch dieses Mal aus. Auch kein Quietschen der Türangeln – nur tödliche Stille. Bosmans spürte, wie der Kragen seines Lodenmantels ihn am Hals kratzte. Das Jucken wurde immer stärker. Seine Schulter, sein Arm, alles juckte.
Während die Spitze seines Zeigefingers die Oberfläche des Lichtschalters suchte, umklammerten die Finger seiner anderen Hand den Kolben der Pistole, die in einem Halfter unter seinem Mantel steckte.
Mein Gott. Dirk.
Als er es schließlich nicht mehr aushielt, dröhnten die schlammigen Sohlen seiner Schuhe über den Linoleumboden. Von der Küche aus ging es ins Schlafzimmer, danach ins Bad. Keuchend zurück ins Schlafzimmer. Ein ungemachtes Bett. Zerknüllte Bettwäsche. Eine Jeans, zu einem Ball zusammengerollt, zwei getragene Unterhemden. Wieder in die Küche, mit hastigen Schritten. Nichts. Leer. Die Wohnung war leer.
Während er keuchend an der Wand lehnte und seine Lungen gierig voll Sauerstoff sog, hörte er das Geräusch. Bosmans griff unter seinen Mantel, zog seine Pistole, einen altmodischen Colt, und hielt ihn am gestreckten Arm vor sich.
Während er mit der freien Hand das Handgelenk mit der Waffe abstützte, schaute er in alle Ecken des Raumes. Er blickte nach oben. Es gab keinen Dachboden, nur drei winzige Zimmer. Sie waren leer gewesen.
Unter dem Bett. Irgendwas ist unter dem Bett.
Ruckartig fuhr sein Kopf um eine Vierteldrehung zur Seite, und während seine halb zusammengekniffenen Augen den Kassettenrekorder fixierten,
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