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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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danach verstummte Boštjan völlig. Was außen war, schmolz er ins Innere um. Er blieb stumm, wurde sein eigener Zwiesprecher und Gegner, sprach über nichts mehr und schwieg über alles, die Erzählung verknotete sich ihm zum Satz, der Satz zum Wort, das Wort zum stummen Knall. Vom Hohlweg an sprach er nur noch, wenn es nicht anders ging. Und noch diese wenigen Worte hingen nur kurz in der Luft und verpufften, sobald jemand aufmerksam wurde. Boštjan bog seine Rede nach innen, in ihm selbst aber redete es unaufhörlich, schwirrte es durch die Glieder und durch den Kopf, es redete und redete; erst viel später erkannte er, daß dies kein Reden war, daß es tönende Bilder waren, bildhafte Stimmen, Szenen, die auftauchten, sich wiederholten, aus der Haut hervorbrachen. Mit dem Abführen der Mutter hatte ihm Ugav Namen und Würde genommen, mit dem Verschwinden der Abgeführten im Hohlweg hatte ihn die Stummheit erfaßt. Stumm und namenlos war er auf der Suche nach einem Menschen, zwar nicht nach so einem, der ihm, Objekt und Pronomen, mit einer Handbewegung, einem Fingerzeig oder einer Kopfwendung wortlos Anweisungen geben, sondern nach einem, der ihn wieder bei seinem Namen rufen würde. Und er wurde ihm zugeworfen, sie wurde ihm zugeworfen. Die Liebe hatte ihn an einen Ort getrieben, an dem sie sich einzig und allein verwirklichen konnte, und wenn ihn ihr abschüssiges Terrain auch zu verschütten drohte, er mußte ihr freien Lauf lassen, auf der Hochzeit war nichts zu holen,
nichts zu tun und nichts zu haben, an diesem Ort des allgemeinen Vergnügens befiel ihn Traurigkeit. Er brauchte sich nicht Mut zu machen, als er vor dem Fenster stand, und noch als die Finger an die Scheibe klopften, spürte er im Rücken, wie ihn alles ermunterte, entschlossen und stärker zu klopfen, dem ganzen Haus Beine zu machen. An dem Morgen, als er die Hochzeitsfeier vorzeitig verlassen hatte, um Lina zu sehen, an diesem Morgen vor Tagesanbruch dreht Linas Vater, ein Mann der frühen Stunde, hinter Boštjans Rücken den Hut in den Händen und läßt unter der Krempe Wort um Wort herauströpfeln. Er ist genau der Gesprächspartner, durch dessen Langsamkeit man sich in Geduld zu üben lernt und sich beim Zuhören an jeden Rettungshalm klammert, sich vom erstbesten Ding ablenken läßt. In einer Zeit, in der ein Hitzkopf die Welt auf den Kopf stellt, lockert der Mesner noch immer die Wörter in der Kehle, treibt die Laute zueinander, bändigt sie im Mund, glättet und poliert sie, mischt sie mit Speichel und legt sie sich auf der Zunge zurecht, unterdessen hält er den Gegner mit seinem Blick an der Stelle fest, schmiedet ihn an den Boden. Linas Vater, gerade dabei, sich auf seinen Tagesgang zu machen, versehen mit dem Erkennungszeichen, gestreift vom Willen Gottes, seine Stirn glühend unter dem Stigma, doch bedrückt, weil nach einer halb durchwachten Nacht die Hoffnungen auf einen guten Morgen schwach sind, mischte sich unnötigerweise ein, war doch der Morgen Boštjan versprochen, der nun wie eine Spottgestalt aus Dvevode vor ihm steht. Wieder hat sich auf unverwechselbare Weise die Unberechenbarkeit des Gotteswillens offenbart, Hand in Hand mit der Mißgunst und seiner Launenhaftigkeit in diesen Höhen, als der seit Kriegstagen Verschworene sich dazwischenschob. Linas Vater hatte seinen Kör
per zum Tempel des göttlichen Willens gemacht, indem er diesem weder etwas wegnahm noch hinzutat, es genügte ihm, daß er ihn verwaltete, daran teilhatte und immer und überall um ihn wußte, in einer Reihe mit jenen stand, die davon seit Ewigkeiten Kenntnis haben; die Kirchenväter, von Anbeginn in seinem Besitz und alle bereits verstorben, hatten ihn, wie er war, zu Lebzeiten in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Gottes Wille klebte an ihm, und es gab keine Situation im Dorf, mochte die Sache noch so verzwickt sein, ohne daß der gute Mann überzeugt war zu wissen, was Gott wollte, was er um nichts in der Welt wollte und nicht mochte, was er billigte und wann er mit dem Finger drohte; weder im Kleinen noch im Großen geriet er seinetwegen in Verlegenheit, wie ein Zeck hatte sich der Wille Gottes an ihn geklammert und war ihm bereits in das bloße Atmen übergegangen; wo er ging und stand, er hatte ihn stets dabei, und überall, auch beim Militär, war der Wille Gottes mit ihm. Im Graben liegend, unter dem Sirren der Kugeln, unter dem Prasseln der Schrapnelle und den Wirbeln der zerwühlten, in die Luft gesprengten Erde, tat er ein Gelübde: wenn

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