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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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zweiten Flügelpaar, dem für das Fliegen, die Augen, die gefallenen Engel der Unterwelt aber rieben sich die schwarz gewordenen Hände, als sie sahen, wo der Seraph den Stachel Gottes hinstecken würde. Die Sache reifte heran, der Allmächtige tippte mit dem Mittelfinger auf das Pünktchen und besiegelte es; zur selben Zeit, noch vor dem ersten Morgenrot, machte sich Ugav mit dem Adjutanten im Markt auf den Weg durch den Graben nach Tesen. Der Seraph, ein Wesen von zögerlicher Natur, hatte noch nicht in den Fliegenschiß hineingestochen, den Stachel noch nicht versenkt, war noch nicht dazu gekommen, die farbenfrohe Stecknadel in den Rauchfang zu drücken, da standen schon die beiden Gendarmen vor der Tür. Der weitere Verlauf und das Ausmaß ihrer Mission sind hinlänglich bekannt. So ungewohnte, plötzliche Eile im ersten, frühen Teil, eine fast schon blitzartige Geschwindigkeit, von der die beiden an jenem Morgen gepackt wurden, hatten sie bis dahin wahrlich noch nicht erlebt. Vom Eindringen in das Haus an lief jedoch alles, was noch folgte, unsagbar langsam ab, mit überaus störender Schwerfälligkeit, mit Ausweichmanövern und Verzögerungen, mit rein menschlichen Sorgen, mit Stillstand und mit Drängerei. Der Allmächtige hatte nur den Willen durchblicken lassen, nur das Ziel angedeutet, alles andere hatte er der Einbildungskraft der Menschen, dem Einfallsreichtum ihrer Böswilligkeit überlas
sen, und in der Tat hatten die Gendarmen, die beiden halben Amateure, nicht wenig gestümpert und seine Eingebung nur mit Müh und Not bewältigt, gerade noch zuwege gebracht. Bereits am Tag danach schlugen die Seraphim wieder brav die Karte auf, damit der Allmächtige seinem Willen Geltung verschaffen, die Gegend ein wenig durchstriegeln, den Stachel da und den Stachel dort hineinstoßen konnte, ein bißchen im Ernst und ein bißchen zum Spaß, und wenn ihm die Stecknadeln einmal ausgingen, schnippte der Allmächtige mit den Fingern, und neue Stecknadeln waren erschaffen.
    Die kleine Lichtung wird auf der oberen Seite durch einen senkrechten Felsen begrenzt, mit einem Baumstumpf an der Spitze, dessen Wurzeln sich um den Felsen winden. Niemand weiß, wie es kam: Haben in dem ewigen Gerangel um die Vormacht die Wurzeln den Fels in ihrem Netz gefangen, erbeutet, oder hat sich der Fels das Wurzelgeflecht angeeignet und als Bedeckung genommen? Hat sich der Baum, als er noch stand, dem Felsen unterworfen oder sich der Fels dem Baum untergeordnet und ihm, sei es gezwungenermaßen, sei es freiwillig, Stütze geboten? Die Wurzeln haben sich herumgewickelt, ihre Fasern in die Risse gepreßt, diese freigelegt, um Erde zu binden, nur einige erreichten das Moos und gruben sich hinein, die anderen starben ab und liegen bloß. Die Wetter setzten beiden zu, doch der Wurzelstock hatte den Felsen fest im Griff und bewahrte ihn vor dem Auseinanderfallen. Dieser konnte sich auch nach den Zeiten des Baumes nicht von dem Geflecht befreien und aus den Fesseln lösen. Die Felswand zieht einen offenen, baumlosen Ring um die Ebene, wodurch die Lichtung größer erscheint, als sie tatsächlich ist, und Boštjans Absichten gerade recht kommt. Ganz oben auf der Felswand, am Baum, als er noch
da war, soll sich einst ein Knecht erhängt haben, weil ihm das Aufgebot verweigert worden war; er hatte zwar eine Geliebte, aber keinen Hof. Der Knecht handelte ähnlich wie viele andere vor ihm und wie es in diesen Gegenden nicht ungewöhnlich war; es heißt, daß er im Sonntagsgewand und hochzeitlich geschmückt, in neuen Schuhen und mit einer Wachsblume am Rockaufschlag, sich den Strick um den Hals gelegt habe. Von weit her gekommen, wollte er sich ausgerechnet hier erhängen, damit man ihn möglichst lange nicht finden sollte. Der Teufel hat ihm das Blut verwirrt, sagten die Tesener Nächsten, sagten die Grabnerinnen, die nur das Unglück anderer glücklich macht. Für so einen gebe es in der Hölle einen Sonderverschlag, sagte Hochwürden, der Höllenkundler, zwar nicht von der Kanzel herab, doch im Gespräch vor der Kirche, also auf heiligem Boden, wo jedes Wort noch als göttlich gilt. Was ist das Volk schon anderes als viele Kinder auf einem Haufen? Der Leichnam hing seine Zeit ab, pendelte im Sturm und zog den Baum vom Felsen; angeblich baumelte er so lange, weil der Teufel ihn am Haken hielt und immer wieder am Strick rüttelte, unsicher, ob er die Schlinge fest genug angezogen und dem da verläßlich das Genick gebrochen hatte. Im Wind

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