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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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vertrocknend und in den Unwettern verwesend, reiften seine sterblichen Schrumpelreste allmählich heran und fielen im Wüten der Jahreszeiten nach und nach auf den Boden. Stückweise begannen sie abzufallen, zuerst von den Stellen, wo nur die Haut wegzufaulen brauchte, daß der Jammer zu Boden fiel, später gelenkweise, als auch die Muskeln und die Sehnen nachgaben. Das Eis, wenn es sich im Körper bildet, ist ein Beschleuniger der Verwesung. Boštjan war dabei, als Matilda die Großmutter umgarnte, wie die Spinne eine Fliege umgarnt, während der Schaub ganz an die Stirn
seite des Bettes heranrückte und sein strohiger Widerschein den Kopf der Großmutter umgab, ihr beim Weggehen leuchtete; Boštjan, beschlagen auf dem Gebiet des Sterbens, stummer Zeuge des großmütterlichen Abgangs, hatte es am eigenen Leib erfahren, wie im Augenblick des Todes alle Körperteile die Wärme im Zwerchfell bündeln und wie es sich zugleich im Schritt vereist. Nach dieser Osmose stockt das Blut, es wird zu Eis, sein Sickern kommt zum Stillstand, in der einen oder anderen Ader pulst es noch ein bißchen auf, es findet sich aber sehr bald damit ab, daß es auf diesen Bahnen kein Weiterkommen gibt, weder vor- noch rückwärts, und erstarrt. Hagelkörner sind jetzt das Blut, Eisklumpen bilden sich im Körper. Unter den ersten Stücken fiel wie ein vereister Stein der Hoden des Knechtes ab, an einem Haarfilz hing noch ein Ungeziefer, und die Gerinnsel klatschten vom Hodensack des Erhängten auf den Boden. Aus seinem Samen soll, wie in Tesen behauptet wird, am unteren Rand des Plateaus ein männchenförmiger, den krummen Beinen des Erhängten ähnelnder Strauch hervorgewachsen sein, angeblich in dem Jahr, als durch die Strafe Gottes im Markt alle Brücken fortgeschwemmt, in den Gräben hingegen die Wege zerstört, die Brücken aber nur unterspült wurden. Und tatsächlich läßt dieses in sich geschlossene, krummbeinige Mannsgesträuch noch heute niemanden an sich heran, gestattet allen nur den Steig und die Zeit der Rast auf ihm, das jedoch bindend und erzwungen. Fast jeder der seltenen Wanderer macht hier halt, ohne zu wissen, wieso er stehenbleibt, wo es doch nicht lange her ist seit der letzten Rast und Stärkung und ihm der Hausverstand sagt, daß er nach den paar Schritten noch gar nicht müde sein kann. Der Krummbeinstrauch begrenzt an der unteren Seite das Plateau, aus seinen
grünlichen Blüten kriechen jedes Jahr gelbrote Früchte hervor. Durch sein Gewicht neigte der unglückliche Knecht den Stamm in seine Richtung, schattenwärts, krümmte dem Baum sozusagen den Rücken und ließ ihn altern, störte den Fluß der Säfte. Langsam wichen die anderen Bäume vor ihm zurück, wandten ihre Wipfel ab und zogen die Äste ein. Darauf ließ der Baum mit einem Schlag die Blätter fallen und trieb im nächsten Frühjahr nicht mehr aus. Nach Jahren löste sich die Rinde, der nackte Stamm und die trockenen Äste ragten in den Himmel und boten sich den Stürmen dar. Das Totholz stand nicht lange, sagt man, bald hatten es die Winde völlig zerzaust, nicht einmal die Vögel wollten sich auf dem Galgendürrling niederlassen. Heute sind nur noch der morsche Baumstumpf und seine Fangwurzeln zu sehen, die den Felsen in Schach halten, vielleicht aber, wer weiß, läßt dieser sie nicht frei.
    Damals, als ihn auf dem Steig die Schlange erschreckte, hatte er sich unter den Rock der Großmutter verkrochen, heute lebt niemand mehr unten im Haus, und Boštjan wacht allein über seinen Steig. Nach der Hochzeit des Vaters war er die halbe Nacht auf den Beinen gewesen, ohne Müdigkeit zu spüren. Am Himmel begann das Morgenrot schwach zu flimmern, in diesem für verliebte Nachtschwärmer günstigsten Moment zu einem Ständchen klopfte er an Linas Kammerfenster. Das Gefühl des Ausgestoßenseins aus dem Kreis der anderen hatte sich in ihm verstärkt und ihn, auf der Suche nach einer Stütze, zu einem lebenssicheren Menschen gelenkt. Nach dem Verschwinden der beiden Frauen hatte neulich eine schneidende Stille ums Haus zu sirren begonnen, die alles in sich hineinsog und mit ihrem Schleier bedeckte, Auge und Ohr überzog, weder gaben die Tritte auf der Schwelle länger ein Echo von
sich, noch ließ sich das die schlurfende Großmutter nachahmende Geräusch auf dem Steig wieder vernehmen. Als die Mutter fort war, schnürte es ihm, noch ehe sie am Hohlweg oben verschwand, die Kehle zu, Bitterkeit fraß sich in seine Zunge, ein Klotz legte sich auf seinen Mund,

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