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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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er lebend aus diesem Kessel herauskäme, würde er bis ans Ende seiner Tage jeden Freitag zur Messe gehen und keinen einzigen versäumen. Der Soldat wußte, daß der Wille Gottes auch vor dem Blutvergießen nicht zurückschreckte und wie wirksam in seinen weltlichen Niederlassungen die Waffen gesegnet wurden, die Panzer und Kanonen, richtige Windmaschinen todbringender Schrotkörner; in dem Wissen hatte der Soldat zwar den Siegesversprechungen Glauben geschenkt, auch sein Gewehr war gesegnet und geweiht, um zu siegen, auch das Bajonett auf seinem Gewehr war gesegnet, dem Sieg verschrieben, doch konnten solche Kessel auch einen noch so gut aus
gerüsteten Soldaten zweifeln lassen und den Eingekesselten entmutigen. Was dann, wenn es Gottes Wille ist, daß es nicht Gottes Wille sei? Jedenfalls suchte der in göttlichen Dingen bewanderte, von Gott geschlagene Alleswisser Zuflucht beim Gelübde. Zwar feilschte er mit sich selbst, wie er billiger davonkäme, wenn es schon nicht umsonst ging, und zögerte, ob er nun jeden Freitag oder nur den ersten Freitag im Monat anbieten sollte, doch weil daheim Frau und Tochter auf ihn warteten, setzte er alles daran, durch Lob und Schmeichelei sich Gottes Allmacht verläßlich geneigt zu machen. Und er vergrößerte die selbstauferlegte Last so sehr, daß es reichen mußte und ihn kein vernünftiger Gott abweisen konnte. Menschliche Unvorsichtigkeit war mit göttlicher Vorsicht einig geworden: Er hatte das Leben verlangt, für den Allmächtigen ein Vogelfurz, und dafür alle Freitage geboten samt der einen oder anderen Aufbesserung, für ihn Martern, Plagen und Leiden. Das Schicksal war ihm nicht gnädig; wie viele blieben auf der Strecke, er kam davon, entging dem kriegerischen Morden mit Eiterwülsten und mit Nissen, mit einem Reißen im Kopf, mit Dauerschäden, aber lebend. Seither erfüllt er gewissenhaft das Gelübde, verrichtet das Gelobte neben den Freitagen auch noch bei anderen Gelegenheiten. Verläßlich alle Freitage, nach Möglichkeit an jedem Tag, sieht man ihn auf dem Weg zur Kirche, den grubenübersäten Hügel hinunter, an braunen und weißen Halden vorbei und dann wieder hinauf auf den nächsten Berg. Die Beine sind zu nichts mehr gut, doch er geht, in aller Frühe steigt er mit seinem gebrechlichen, bedrückten Gang den Berg hinauf zur Kirche St. Marjeta, mit verrenkten Hüftgelenken, mit zerschnittenem Fleisch, vernarbt, so kriecht er hinauf, um die Kerzen anzuzünden. Linas allwissender Vater, ein schreck
lich frommer Mensch, im Genuß jenseitiger Schonung, inspiriert aus der Ewigkeit, Diener ihres irdischen Stützpunktes, wenn irgendeiner, dann weiß er es von Gott, aus unmittelbarer Nähe zum Göttlichen, aus dessen Dichte und Häufigkeit, daß Boštjans Liebe zu seiner Tochter nicht Gottes Wille ist. Boštjans Lauern ums Haus herum, das Fensterklopfen, das ist nicht nach dem Willen Gottes. Der Gottgelobte fertigt Boštjan unter dem Kammerfenster ab, der nächtliche Verehrer kommt aus einem Haus, wohin er seine Tochter nie und nimmer gehen läßt, weder zur leeren Schüssel noch zur vollen Kost, nicht an diesem Morgen und auch sonst nicht, seine Tochter knabbert niemand an. Boštjan spürt, wie er in die Erde sinkt, wie die Wärme des erhitzten Körpers von der Kammerwand zurückströmt, an die er sich gelehnt hat, wie er zu Erde wird und zur Erde gleitet, und alsbald kommt die Hausherrin gelaufen, auch sie eine von den Frühen, und wird die Nässe dieser verschwendeten Wärme wegwischen, seine Fußstapfen mitsamt der aufgekochten blassen Schmiere des Vaters auf die Mistschaufel kehren; er spürt nun, wie auf der Mauer der Abdruck seiner Hand verdunstet, wie die Berührungen der Steine unter seine Haut zurückkehren, wie sich das Klopfen auf die Fensterscheibe wieder in seinen Fingern sammelt. Schmalspurig hat er geerntet, großspurig hat er verschleudert. Das Sausen unter den Ballen, als er das Scheibengeklirr in die Finger zurückholt, dieses juckende und leicht schmerzende Sausen unter den Fingerkuppen, ähnlich dem beißenden Fingerwurm, vergeht am Waldrand, als er den Zaunsteig berührt. Der Morgen hat sich arg an ihm vergriffen, das wird Folgen haben. Der Tag hat den Weg verfehlt. Gut, daß ihm wenigstens das kleine Plateau noch geblieben ist.

    U nten im Tal ging Lina jetzt immer an Boštjans Haus vorbei, auf dem Talboden führte kein anderer Weg nach St. Marjeta. Er bemerkte sie fast jedesmal, wenn sie in der Kehre unter dem Hügel oder oberhalb der

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