Bote des Todes
eine jüngere Schwester, die bei dem Überfall ebenfalls ums Leben kam. Seine Mutter kam ein Jahr später um, als sich zerstrittene Gruppierungen gegenseitig mit Steinen bewarfen.“
Moira starrte ihn an. Davon hatte sie tatsächlich nichts gewusst. Sie hatte auch nicht alles über ihre eigenen Eltern gewusst, und von einer so bitteren und brutalen Vergangenheit hatte Danny nie ein Wort verlauten lassen.
„Mein Gott“, hauchte sie.
„Moira, ich sage dir das, weil ihm da etwas wirklich Schreckliches widerfahren ist, aber er … na ja, meinen Quellen zufolge hatte er in Nordirland mit einigen sehr radikalen Gruppen zu tun. Ich möchte nur, dass du vorsichtig bist. Halt dich von ihm so fern, wie es nur geht.“
„Du warst heute den ganzen Tag mit ihm unterwegs“, murmelte sie.
„Tja“, sagte er bedauernd. „Wenn ich schon nicht bei dir sein kann, dann kann ich wenigstens ein Auge auf ihn haben.“
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte. Der gesamte Tag war komisch gewesen. Und traurig dazu. Auf einmal wünschte sie sich nichts mehr als eine Tasse Tee mit einem Schuss Whiskey, und dann viel Schlaf, damit sie wenigstens für ein paar Stunden alles um sich herum vergessen konnte.
„Moira, es tut mir Leid, wenn ich dich mit etwas aufgeregt habe, das ich gesagt oder getan habe. Ich möchte nur, dass du auf dich achtest. Die Tür in den ersten Stock kann man abschließen?“
„Ja“, entgegnete sie, erwähnte Michael gegenüber jedoch nicht, dass Danny einen Schlüssel zu allen Schlössern im Haus der Kellys besaß.
„Kann sein, dass dein Freund einfach nur ein großartiger Kerl mit einer bewegten Vergangenheit ist“, sagte Michael. „Aber schließ nachts alles ab. Beschütz dich selbst. Du bist sehr wertvoll, vor allem für mich“, sagte er.
Wieder nickte sie. Was sie eben erfahren hatte, brachte sie völlig durcheinander. Sie versuchte, nicht über die Tatsache nachzudenken, dass er so anständig und besorgt um sie war, während sie ihn ausgerechnet mit dem Mann betrogen hatte, vor dem er sie beschützen wollte.
„Geh wieder in den Pub, vorher mache ich mich nicht auf den Weg“, sagte er.
Moira ging wieder ins Lokal zurück und fragte sich, ob ihm aufgefallen war, dass sie ihn zum Abschied nicht einmal umarmt hatte. Sie war zu fassungslos und zu müde gewesen, um daran zu denken.
Als sie zum Tresen hinüberging, war sie überrascht, Granny Jon auf dem Hocker links von Seamus’ freiem Platz vorzufinden. „Ich bin auf einen Schlummertrunk hier, Kind. Heute Abend brauche ich den“, sagte sie und hob ihr Glas. „Ein Blackbird. Nimmst du auch einen?“
„Aber sicher. Warte einen Augenblick.“
Moira machte ihren Drink fertig, dann stießen die beiden an. „Auf Seamus“, sagte Granny Jon. Moira erschrak, als sie hörte, wie laut und volltönend ihre Großmutter redete. Jeder im Pub musste sie gehört haben. „Auf Seamus und alle Männer des Friedens. Mögen alle verdammt sein, die unschuldige Männer, Frauen und Kinder für ihre Sache töten, ganz gleich, was das für eine Sache ist.“
Sie trank ihr Glas in einem Zug leer, während alle im Lokal schwiegen und sie nur ansahen.
Dann rief Jeff Dolan: „Auf Seamus und auf die Iren. Auf das goldene Zeitalter des Lernens, und auf eine friedliche Zukunft.“
„Salute!“ rief ein anderer.
Überall im Pub wurden Gläser hochgehalten.
Granny Jon stellte ihr Glas auf die Theke. „Gute Nacht“, sagte sie leise zu Moira und machte sich auf den Weg zur Treppe.
Patrick stellte sich neben seine Schwester. „Was war denn das?“ fragte er beunruhigt. „Denkst du, das Ganze hat sie ein wenig … aus der Fassung gebracht?“
„Der Verlust schmerzt sie“, erwiderte Moira.
Patrick machte einen zustimmenden Laut. „Willst du schon hochgehen? Colleen, Danny und ich können abschließen. Du hast heute Abend genug geschuftet. Es war ein sehr langer Tag.“
Moira wollte widersprechen und bis zum Schluss dableiben, aber dann überlegte sie es sich anders. „Ist gut. Danke, Patrick.“
Als sie oben an der Treppe angekommen war, zögerte sie einen Moment, weil sie die Tür abschließen wollte. Dann wiederum wusste sie nicht, wen sie damit aufhalten sollte. Ihren Bruder? Danny? Beide hatten einen Schlüssel zu dieser Tür.
Sie ging durch den Flur und kam am Zimmer ihrer Großmutter vorbei. Sie hörte, dass im Bad das Wasser lief.
Kaum in ihrem Zimmer angekommen, legte Moira sich ins Bett. Doch ihr schwirrten tausend Gedanken durch
Weitere Kostenlose Bücher