Bote des Todes
beste Antwort, die sie sich hatte wünschen können. „Die Tests sind gut verlaufen, aber er muss unbedingt alle sechs Monate zur Nachuntersuchung gehen.“
„Er arbeitet zu viel“, murmelte Moira.
„Das hatte ich auch gedacht, aber die Ärzte sagen, dass Arbeit besser ist als herumzusitzen und gar nichts zu tun. Damit hat er die Erlaubnis bekommen, die er brauchte, um sich weiter seinem Pub zu widmen. Aber zum Glück wird er tatkräftig unterstützt.“
„Ich gehe sofort nach unten.“
Katy nickte zufrieden.
Moira gab ihrer Mutter und ihrer Großmutter noch einen Kuss, dann ging sie nach links durch das Foyer in ein kleines Wohnzimmer, von dem aus eine Wendeltreppe nach unten zu einer Tür führte, durch die man ins Büro und in den Lagerraum hinter dem Lokal gelangte. Im Pub würde sie den Rest ihrer Familie antreffen – und all die gemischten Gefühle, die geweckt wurden, wenn man heimkehrte.
3. KAPITEL
I n dem Moment, als sie die Tür öffnete, konnte Moira aus dem Pub das Stimmengewirr und die Musik der Band hören. Sie stöhnte innerlich auf. Blackbird spielte eine etwas flottere Version eines Titels aus Brendan Behans Drama
Die Geisel
.
„Na, toll“, murmelte sie. „Sie stoßen ja jetzt schon auf die Republik an.“
Sie durchquerte das Büro und trat durch die Schwingtüren, dann sah sie ihren Vater, der mit dem Rücken zu ihr stand. Eamon Kelly war ein großer, breitschultriger Mann mit grauem Haar, das früher einmal nahezu schwarz gewesen war. Obwohl er gerade ein Bier einschenkte, schlich sie sich an ihn heran und legte von hinten ihre Arme um ihn. „Hey, Dad“, sagte sie leise.
„Moira Kathleen!“ rief er, verschüttete etwas von dem Bier, als er das Glas absetzte, und wirbelte herum. Er legte ihr die Hände um die Taille und hob sie hoch, während sie ihn auf die Wange küsste und dagegen protestierte, dass er sie hochhielt, da sie sich Sorgen um sein Herz machte.
„Dad, lass mich runter!“ forderte sie lachend.
Er schüttelte den Kopf und sah sie mit seinen wundervollen blauen Augen an. „Das wäre ja noch schöner, wenn ich nicht mal mein Mädchen hochheben kann!“
„Lass mich runter“, wiederholte sie, musste aber immer noch lachen. „Ich habe das Gefühl, dass mich jeder hier im Pub anstarrt!“
„Warum auch nicht? Meine Tochter ist heimgekehrt!“
„Du hast noch eine andere Tochter, die …“
„Colleen hat das schon über sich ergehen lassen, und jetzt bist du an der Reihe!“
Sie bekam wieder Boden unter den Füßen, dann umarmte sie ihn erneut von ganzem Herzen.
„Die Jungs an der Theke kennst du ja, Töchterchen, oder? Seamus und Liam, unser Italiener Sal Costanza, Sandy O’Connor, seine Frau Sue …“
„Hallo“, begrüßte Moira die Runde.
„Dann bin ich mit einer Umarmung und einem Kuss an der Reihe“, meinte Seamus.
„Und dass du mich nicht übergehst“, rief Liam.
„Noch einmal Dad, dann komme ich zu euch rum“, sagte sie und drückte wieder ihren Vater an sich. „Sollst du eigentlich so schwer arbeiten?“ fragte sie ruhig.
„Ach, ein Bier zu zapfen ist doch keine Schwerstarbeit“, erwiderte er. Dann trat er einen Schritt zurück und sah sie an. „Und du? Bist du allein geflogen?“
Sie lächelte ihn an. „Dad, ich lebe und arbeite in New York City. Ich reise quer durchs ganze Land.“
„Aber normalerweise in Begleitung.“
Verwirrt schüttelte Moira den Kopf. „Ich bin mit dem Taxi zum Flughafen gefahren, bin hergeflogen, und dann hat mich ein Taxi hier vor der Tür abgesetzt. Was ist los, Dad, warum bist du so besorgt um mich?“
„Boston ist nicht so sicher wie früher“, sagte Liam. Moira bemerkte, dass er und Seamus eine Zeitung auf der Theke ausgebreitet hatten.
„Ich glaube, es hat hier immer Verbrechen gegeben“, sagte Moira beiläufig. „Das ist in allen Großstädten gleich. Darum hast du uns ja auch zu umsichtigen und aufmerksamen Kindern erzogen, Dad.“
„Er hat an dieses Mädchen gedacht“, sagte Liam.
Moira sah ihn fragend an. „Ein Mädchen?“
„Eine Prostituierte, die im Fluss gefunden wurde“, erwiderte Seamus.
„Tot“, fügte Liam betroffen an.
„Erwürgt“, legte Seamus mit dramatischem Tonfall nach.
Sie sah ihren Vater an. Es war zweifellos eine tragische Sache, aber sie fragte sich, warum er sich um sie Sorgen machte. „Dad, du kannst mir ruhig glauben – ich gehe nicht nebenbei dem ältesten Gewerbe der Welt nach.“
Er zuckte mit den Schultern. „Moira …“
„Er hat
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