Bote des Todes

gab.
    „Na ja, er ist ein hohes Tier. Und ein Gemäßigter. Es gibt viele Menschen in Nordirland, die vom Blutvergießen und von der Gewalt genug haben. Aber seit Jahrzehnten gibt es eine Gruppe, die nach wie vor glaubt, dass Gewalt das einzige Mittel für eine Veränderung ist. Die Zusammensetzung dieser Gruppe ändert sich zwar ständig, die Ziele bleiben jedoch die gleichen. Außerdem darfst du nicht vergessen, dass die Republik Irland überhaupt erst durch Gewaltanwendung realisiert wurde.“
    „Jeff, komm bitte auf den Punkt, ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.“
    „Moira, tu nicht so. Ein Attentat.“
    Sie blieb abrupt stehen. „Ein Attentat?“
    „Moira, hier können dutzende von Verrückten herumlaufen, die bereit sind, Gewalt anzuwenden. Entweder weil sie gestört sind oder weil sie nicht an Mäßigung und Verhandlungen glauben.“
    „Und was hat das mit uns zu tun? Wenn es so offensichtlich ist, dann weiß Brolin das sicher selbst. Er läuft mit …“ Sie unterbrach und begann von neuem: „Bestimmt geht er nicht ohne Leibwächter aus dem Haus. Und er hat zweifellos eine Polizeieskorte.“
    „Sicher, sicher. Ich weiß auch nichts Genaues, das schwöre ich dir. Aber es gab so ein Gerücht, dass Blackbird so etwas wie ein Codewort sein soll. Und Kelly’s Pub ist ein Lokal, in dem viele Menschen zusammenkommen.“
    Sie sah ihn entsetzt an. „Das ist ja schrecklich. Das darf nicht sein, wir müssen die Polizei informieren.“
    „Anscheinend weiß die schon davon. Deswegen auch der Typ, der den Blackbird bestellt hat.“
    Sie atmete tief durch. „Das Gerücht, Jeff, wo hast du es gehört?“
    „Ach, Moira …“
    „Ich muss es wissen!“
    „Da ist der Sandwich-Laden.“
    „Jeff, ich muss es wissen!“
    Er seufzte laut. „Seamus. Seamus hat gesagt, dass er irgendwann nachts Leute hat flüstern hören. Er wusste nicht, um was es ging, aber er hatte Angst. Er hat im Pub darüber gesprochen, weil er sich bei seinen Freunden sicher fühlte. Ich habe ihm gesagt, er soll den Mund halten.“
    „Jeff, du solltest zur Polizei gehen und berichten, was du weißt.“
    „Und was weiß ich? Dass der schwerhörige Seamus nachts jemanden hat flüstern hören? Unsere Band heißt Blackbird. Genau wie der Drink. Die Polizei weiß auch so, dass ein paar Verrückte in der Stadt sein könnten, aber was kann ich ihnen sagen, was sie noch nicht wissen? Wenn ich Pech habe, werde ich sogar noch angeklagt, weil man meint, ich wäre in irgendeine große Verschwörung verwickelt. Das hat mir noch gefehlt.“
    „Jeff …“
    „Dein Vater hat Recht, Moira“, sagte er und blieb vor der Tür zum Sandwich-Laden stehen. „Traue keinem Fremden. Und sei verdammt vorsichtig, auch im Pub. Wenn du mehr wissen willst, musst du schon den alten Seamus fragen. Er
könnte
zur Polizei gehen, aber das macht er nicht. Seamus hat nichts zu verbergen. Er kam in die Staaten, hat sich hier krumm und buckelig gearbeitet und ist ein mustergültiger Bürger. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er mit dir redet. Und zur Polizei wird er garantiert nicht gehen.“
    „Warum nicht?“
    „Weil es zu gefährlich ist, irgendjemandem zu sagen, dass du zu viel weißt“, sagte er zu ihr.
    „Aber wenn …“
    „Glaub mir. Die Radikalen, die Gemäßigten oder sogar die, die sich um nichts kümmern, sind ausgezeichnet informiert. Die Polizei ist schon anwesend. Den größten Teil der Gäste machen unsere Stammkunden aus, die zum Mittagessen, auf einen Cocktail, zum Abendessen und wegen der Musik herkommen. Die meisten Gesichter sind mir inzwischen vertraut. In der letzten Zeit sind mir allerdings viele Fremde aufgefallen.“
    „Im Pub gibt es immer Fremde.“
    „Ja, aber so viele sind für meinen Geschmack ungewöhnlich. Ich möchte sogar wetten, dass Brolins Leute auch schon im Pub waren. Jesus, Moira, vertrau mir und halt dich völlig raus aus dieser Sache.“
    „Der Pub gehört meinem Vater.“
    „Im Pub deines Vaters wird nichts passieren. Und es gibt auch nichts, was wir Brolins Leuten sagen könnten, was die nicht schon längst wissen.“
    „Wenn alle so informiert sind, warum sind dann über die Jahre hinweg so viele Menschen getötet worden?“
    „Weil es zu viele Leute gibt, die ihre Ansicht für die einzig wahre halten und bereit sind, dafür zu sterben. Du musst den Mund halten, und Seamus muss ebenfalls den Mund halten. Unwissenheit ist nicht nur praktisch, Moira, sondern lebensrettend. Wir sollten jetzt reingehen, da