Bote ins Jenseits
hatte all die Jahre keinen Beweis für die Existenz einer höheren Macht gehabt. Den hatten wohl die wenigsten. Andersherum hatte sie aber auch keinen Beweis, der ihre Ungläubigkeit rechtfertigte. Jetzt saß sie, überwältigt von ungewohnter Demut, mit ihren Tränen kämpfend in ihrem Wohnzimmer und fragte sich, wie sie nur so selbstgerecht sein konnte.
»Mein Vater lebt noch?«
Gregor lächelte. »Er lebt in Köln. Er ist nicht mehr der Mann, der er mal war, aber es geht ihm relativ gut – vielleicht auch gerade deswegen.«
Heike fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht.
»Und mein Bruder wurde tatsächlich umgebracht? Wer war es?«
Mist! Das musste ja passieren. Er wusste es, hatte aber noch immer keine Ahnung, wie er diese eine Frage befriedigend beantworten konnte.
»Ein… Verrückter. Die Polizei sucht bereits nach ihm. Aber ich kenne seinen Namen nicht, tut mir leid.«
Das war nicht nur dünn, das war hanebüchen! Wenn er in den letzten Minuten eines über diese Frau gelernt hatte, dann dass sie nicht gerade leicht zu überzeugen war.
Und wie zur Bestätigung seiner Befürchtung, bedachte sie ihn mit einem skeptischen Blick.
Kamp trippelte zu ihr, sprang ihr auf den Schoß und leckte ihre Hand.
Gregor sucht Streit
Gregor war sauer! Auf sich selbst, auf Kamp und auf all diese blöden Vorschriften, die ihm manchmal furchtbar unnütz vorkamen – vor allem dann, wenn er sich mal wieder an ihnen vergangen hatte.
Sie waren noch einige Stunden bei Heike geblieben. Gregor hatte versucht, so aalglatt wie möglich ihre Fragen zu beantworten, wovon sie eine ganze Kiste voll zu haben schien, während Kamp sich auf ihrem Schoß einigelte. Nachdem es ihm endlich gelungen war, seinen Klienten von dem Schoß seiner Schwester zu amputieren, ihren für Stunden paralysierten Freund zu reanimieren und sich widerstandslos von genau diesem Arschloch rausschmeißen zu lassen, fuhr er, eines echten Kölners ebenbürtig und mit genau der richtigen Mischung aus Aggression und Gleichgültigkeit gegenüber den Rechten anderer, zurück zur Niederlassung.
Er war wirklich sauer! Die linke Tour seines Klienten hatte er immer noch nicht verwunden, und seine eigene Inkonsequenz ging ihm ebenfalls auf den Keks. Ihr all die Dinge über das Jenseits zu erzählen und sich selbst als Bote zu erkennen zu geben war ganz allein auf seinem Mist gewachsen. Natürlich wäre er nie in diese Verlegenheit geraten, wenn Kamp ihn nicht so mies in die Pflicht genommen hätte, womit er wieder bei dem ausgemachten Hauptschuldigen an dieser ganzen Misere war. Die ganze Aktion war für die Tonne, und er musste jetzt irgendwohin, wo er seinen Frust abbauen konnte – ohne Kamp!
Der staunte nicht schlecht, als Gregor ihn praktisch wie eine Paketsendung in der Niederlassung ablieferte und sich, ohne Angabe irgendwelcher Zielkoordinaten, direkt wieder auf den Weg machte.
Es war nicht so, dass er kein Verständnis für Kamp hatte, aber zur Abwechslung war er es jetzt mal, der Verständnis einforderte. Nach allem, was er bisher gehört hatte, gab es einen Ort, an dem man mit so einer Verstimmung bestens aufgehoben war und seinen Frust nach Herzenslust abreagieren konnte. Er würde an diesem Abend das »Cave« mit seiner Gegenwart beehren und dort vielleicht ein wenig Streit anfangen. Vielleicht war ja auch dieser Musiol da, mit dem er ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen hatte.
Überhaupt – Musiol. Das war auch so ein Reizthema. Im Grunde war er immer noch davon überzeugt, dass dieser Kerl den besten, weil plausibelsten Schuldigen abgegeben hätte. Die Drogen, uneingeschränkter Zugang zu den Räumlichkeiten der AWB, seine kaum verhohlene Abneigung gegen Kamp – er war perfekt! Ganz im Gegensatz zu Kamps Vater. Der Mann war verrückt und ein Wrack noch obendrein. Es erschien ihm falsch.
Aber was wusste er schon?
Nach einem kurzen Fußmarsch – den Wagen hatte er mit voller Absicht, aber ohne große Befriedigung, auf einem Behindertenparkplatz abgestellt – erblickte er ein gelbes Schild mit der grünen Aufschrift »CAVE«. Darunter war eine E-Gitarre samt Verstärker abgebildet, ein erster dezenter Hinweis auf was man sich einließ, wenn man diese spezielle Kneipe betrat.
Gregor drückte die Tür auf, und sofort drang das Getöse aus den Lautsprecherboxen in seine Ohren. Gregor hasste Rockmusik, seit die Menschen sie erfunden hatten. Sie versetzte ihn immer wieder in eine gefährlich aggressive Stimmung und kitzelte seine
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