Bote ins Jenseits
Klient. Er hat mich darum gebeten, ihm dabei zu helfen, seinen Mörder zu finden.«
»Aha?«
Sie glaubte ihm nicht. Wie sollte sie auch?
Es war das erste Mal in seiner Tätigkeit als Vergeltungsbote, dass er versuchte, sich einem Sterblichen zu offenbaren, und es ging gründlich in die Hose. Die junge Frau kaufte ihm seine Geschichte nicht ab, und so ungeschickt, wie er sich angestellt hatte, konnte er ihr das kaum verdenken.
Aber was sollte er machen? Auf den kleinen Hund zeigen, der ihn in den letzten Tagen fast ununterbrochen auf Schritt und Tritt begleitete, und ihr sagen: »Ach übrigens, das ist dein Bruder! Thore, gib deiner Schwester Pfötchen.« Sie würde ihn – wenn das überhaupt möglich war – noch weniger ernst nehmen.
Er versuchte die Situation zu retten und erzählte ihr die wesentlichen Fakten, ganz so, wie Kamp ihn gebeten hatte. Die Sache mit dem Mord, den Drogen, ihrem Vater und dem verrückten Bankkaufmann.
Sie hörte die ganze Zeit ohne erkennbare Regung in ihrer Mimik zu und beschränkte sich auf ein leichtes Nicken an einigen Schlüsselstellen.
»Ich weiß, wie unwahrscheinlich das für dich klingen muss. Die Entscheidung, dir alles zu erzählen, ist mir auch beileibe nicht leicht gefallen, zumal ich es eigentlich gar nicht darf – geschweige denn wollte. Aber ich habe die absolute Gewissheit, dass dein Bruder sehr glücklich sein wird, wenn auch du über all das Bescheid weißt«, sagte Gregor und warf einen flüchtigen Blick zu Kamp.
Heike Kamp nickte. »Verstehe. Und gleich verschwinden Sie, zusammen mit Ihrem Hund, wieder ins Jenseits, weil Sie den Fall aufgeklärt haben?«
Die junge Frau konnte nicht mehr, und ein wacker unterdrücktes Lachen bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. »Entschuldigen Sie bitte, aber um ehrlich zu sein, Sie tun mir leid. Sie brauchen Hilfe! Mal ehrlich, sich all das auszudenken, sich so intensiv mit dem Leben völlig fremder Menschen zu befassen, nur um ihnen diese Show präsentieren zu können – wie krank ist das? Das ist auf keinen Fall normal!«
Sie wankte nicht einmal ein kleines bisschen! So langsam wurde Gregor ungeduldig.
»Was muss ich machen, damit du mir Glauben schenkst? Ich werde nicht locker lassen, bevor ich dich überzeugt habe!«
»Gregor! Lass mich mit ihr reden – irgendwie!«, mischte sich Kamp ein.
Der Bote ignorierte ihn.
»Also, Herr Gregor, ich würde sagen, es reicht so langsam. Selbst Ihrem Hund scheint es langsam zu dumm zu werden. Egal wie überzeugt Sie von Ihren Fantastereien sind, mich überzeugen Sie nicht. Akzeptieren Sie es, und gehen Sie. Bitte!«
Abrupt erhob sich der Bote von seinem Stuhl und sah sich im Raum um. Die Sache war gerade persönlich geworden. Es ging jetzt nicht mehr nur um Thore – es ging um seine Glaubwürdigkeit!
»Würde es dir etwas ausmachen, die Vorhänge zu schließen?«, fragte er sie.
Heike Kamp schreckte auf.
»Wie bitte? Na und ob mir das was ausmachen würde! Was haben Sie vor? Hören Sie, ich bin nach wie vor bereit, nach Leibeskräften zu schreien, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
»Oh, schreien wird nicht nötig sein«, sagte er beiläufig und konzentrierte sich auf die Vorhänge. Mit ein paar knappen Bewegungen seines Zeigefingers zogen sie sich wie von Geisterhand zu.
»Weißt du, ich möchte nach Möglichkeit vermeiden, dass ein Unbeteiligter mich bei etwas beobachtet, was er nicht begreifen würde.«
Mit einem Fingerschnippen schaltete er das Licht in dem inzwischen abgedunkelten Raum ein. Der Kopf der angststarren jungen Frau bewegte sich hektisch zwischen den Vorhängen, dem Deckenfluter und dem Boten hin und her.
»Das ist schon besser. Also, junge Dame, ich frage noch einmal, was muss ich tun, um dich zu überzeugen? Irgendwelche Einrichtungsgegenstände, die ich für dich schweben lassen kann? Möchtest du, dass dein Freund auf Händen geht und hebräisch spricht? Soll ich mich in den Dalai Lama verwandeln? Such dir was aus… bitte!«, forderte er sie auf und spürte, wie er in Fahrt geriet.
Heike Kamp sah ihn ungläubig und mitleidig an. »Sie glauben wirklich, was Sie da sagen, oder?«, fragte sie und klang erschüttert.
»Weil es die Wahrheit ist! Lass es doch einfach drauf ankommen und mich irgendein Kunststückchen aufführen. Das Schlimmste was passieren kann, ist, dass ich dich überzeuge. Was hast du zu verlieren?«
Auch wenn Religion nie ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens war, hatte Heike sich doch, für sich
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