Botschaft des Schreckens
Angst oder Verzweiflung tun wir alle einmal Dinge, die wir sonst nicht tun würden. Sie kennen die Hacienda Montera noch nicht gut genug, um zu wissen, daß eine Anordnung ihres Oberhaupts unter allen Umständen befolgt werden muß.« Lächelnd fügte er hinzu: »Aber mit der Zeit werden Sie das sicher noch lernen. Und deshalb will ich jetzt nachsichtig sein, querida.«
»Dann werden Sie Rosa nicht bestrafen?« sagte ich, amüsiert über Carlos’ Arroganz. »Wenn sie und Teresa hier fort müßten… Ich weiß nicht, was sie dann tun würden.«
»Rosa bestrafen? Natürlich nicht. Vielleicht werde ich ihre Karten zerreißen, nicht mehr. Warum? Weil ich nicht gegen Father Valas Wunsch verstoßen möchte. Ich fürchte, daß Rosa Unheil über uns bringt.«
»Aber das ist es ja gerade«, rief ich erregt. »Das kann sie doch gar nicht. Rosa kann überhaupt nicht in die Zukunft sehen; sie ist eine Schwindlerin und kann über niemanden Unheil bringen.«
Erstaunt starrte mich Carlos an. »Warum sagen Sie das?«
»Weil sie, als sie mir heute die Karten legte… nun, es war einfach verrückt. Sie sagt, daß es keine Bande gebe. Stellen Sie sich das vor! Nach allem, was geschehen ist – sie haben meinen blauen Mantel über die Mauer geworfen, und heute nacht kamen sie mit ihren Motorrädern –, beharrt sie darauf, daß es in der Stadt zwar eine solche Bande gebe, die aber weder mit mir noch mit dieser Hacienda irgend etwas im Sinne habe, und nie etwas im Sinne gehabt hat!«
»Keine Bande?« Carlos’ Stimme klang spöttisch. »Ich bin froh, daß Sie den Mut hatten, mir dies zu sagen. Ja, sie hat uns, und vor allem Abuela, getäuscht. Aber Sie haben recht. Unsere arme Rosa ist nur eine Schwindlerin.«
Ich nickte. »Selbst Father Vala hat sie etwas vorgemacht. Ich hatte so Angst, Sie könnten sie für das halten, als was Father Vala sie hingestellt hat – eine Art Hexe, die mit dunklen Mächten im Bunde ist. In Wirklichkeit ist sie nur eine freundliche, gute Frau, die sich selbst vormacht, daß sie die Zukunft vorhersagen kann.«
Carlos lachte. »Na, zumindest Rosa kann ich von meiner Sorgenliste streichen. Aber sagen Sie mir« – er bemühte sich wieder, ernst zu werden – »wenn Rosa in ihren Karten die Bande nicht sieht, was sieht sie denn dann?«
Erleichtert, daß weder Rosa noch Teresa, der kleinen Plaudertasche, die ich so gern mochte, etwas passieren würde, lachte auch ich. »Nun, sie sagt, sie sieht Gefahr für mich… aus einer anderen Richtung. Aber sie weiß noch nicht, was es ist. Sie spricht von einem Schleier, der sich ein wenig hebt und dann wieder fällt.«
»Tatsächlich?« fragte Carlos spöttisch. »So drückt man sich also um eine ehrliche Antwort! Aber Sie haben wohl recht – meine Brüder und ich sind zu streng zu Rosa gewesen. Und jetzt versuchen Sie, noch ein wenig zu schlafen, Sally. Ich bin zwar sicher, daß bei Rosa alles in Ordnung ist, werde aber doch nach ihr sehen. Buenos noches – oder sollte ich sagen buenos dias, querida?
Trotz jener heißen Umarmung bin ich nicht in Carlos Montera verliebt, dachte ich, als ich wieder in meinem Zimmer war. Konnte ich lernen, ihn zu lieben? Ich wußte es nicht. Jedenfalls schien er mir Dolores’ Platz auf der Hacienda Montera anzubieten. Würde ich wirklich bleiben wollen, wenn meine zwei Wochen vorüber waren? Würde ich je über das hinwegkommen können, was ich hier durchgemacht hatte? Konnte ich Dona Isabellas Feindseligkeit vergessen, oder die gespenstischen Vorgänge um Dolores? Oder die kalte Unfreundlichkeit von Pedro, Joe und Stella? Ich bezweifelte es.
Dann wurde mir klar, daß Carlos’ tiefe, zärtliche Stimme mich genau zu dem verleitet hatte, was Rosa am meisten fürchtete: Er hatte von mir erfahren, daß sie ihr Versprechen, die Karten nicht mehr zu legen, gebrochen hatte! Vielleicht würde Carlos nicht sagen, daß er es von mir wußte, und einfach nachsehen, ob ihr nichts fehlte. Erwähnte er es aber doch – würde ich dann auch Rosa zu meinen Feinden zu zählen haben? Und Teresa? Beklemmung erfaßte mich. Freunde zu verraten, war nicht meine Art.
Erschöpft legte ich mich wieder schlafen. Und dann träumte ich – immer und immer wieder dasselbe. Neben Father Vala kniend hörte ich seine letzten Worte, aber ich konnte nichts verstehen. Dann erschien plötzlich Rosa und schalt mich erzürnt. »Die ›Gilas‹ haben Father Vala nicht ermordet. Geben Sie sich doch keine Mühe, das aus seinen Worten herauszuhören!« Und
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