Botschaft des Schreckens
könnte jemand anderer sein?«
Ich zögerte, aber ich mußte es ihm doch sagen. »Ich hatte Angst, daß es… Dolores sei.«
»Dolores? Aber wie sollte denn…?«
»Als ich auf meinem Rückweg hierher an ihrem Zimmer vorbeikam«, erklärte ich ihm, »hörte ich Geräusche darin.«
»Geräusche?« fragte Carlos mit rauher Stimme. »Wie meinen Sie das?«
»Ich weiß, es hört sich vielleicht lächerlich an. Aber als ich mir ein Herz faßte und an die Tür ging und lauschte, konnte ich hören, wie man drinnen die großen Truhen öffnete. Teresa sagt, daß einige der Bediensteten Dolores gesehen haben. Ich habe sie nicht gesehen, aber ich habe mit Sicherheit jemand in ihrem Zimmer gehört.« Ich holte tief Atem und fügte beinahe entschuldigend hinzu: »Wer sonst könnte es denn gewesen sein… mitten in der Nacht?«
»Niemand anderer.« Carlos sah zu der schweren Tür hinüber. »Abuela sagt schon immer, daß Dolores noch hier ist.« Er senkte seine Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Wahrscheinlich weiß sie, daß sie nicht mehr lange die Herrin der Hacienda sein kann. Vielleicht hat sie unsere Unterhaltung gehört, querida, und das macht sie unruhig.«
Ich weiß nicht, warum mir Bob Ellisons Warnung »Sieh zu, daß du nicht in der Hacienda Montera verlorengehst, Red«, gerade jetzt in den Sinn kam. Aber es war, als führe ein scharfer, kühler Windstoß klärend durch meine Gedanken. Ruhig sagte ich: »So viele hier glauben an das Erscheinen von Dolores, daß ich nahe daran bin, es selbst zu glauben. Aber wenn ich es mir überlege, dann lehnt sich alles in mir dagegen auf. Es kann doch nicht sein, daß hier die Toten umgehen.«
Carlos schüttelte den Kopf. »Was Sie glauben, ist gleich, Sally. Dies ist eine sehr alte Hacienda – eine Welt, die ganz anders ist als die Ihre.«
Da hatte er recht. Vom ersten Moment an, da ich sie betreten hatte, hatte ich diese Andersartigkeit gespürt. Die Hacienda Montera war wirklich ganz anders als mein so gar nicht ungewöhnliches kleines Heim in Oklahoma! Dennoch machte ich einen letzten Versuch. »Ist es nicht möglich, daß irgend jemand anderer – jemand, der hier im Hause lebt – in Dolores’ Zimmer gegangen sein könnte?«
»Jemand anderer?« entgegnete Carlos überrascht. »Nein, das ist völlig unmöglich. In dieses Zimmer kann niemand; die Türen sind stets verschlossen, weil diese Truhen ein Vermögen enthalten. Außerdem… während meiner und meiner Brüder Abwesenheit war ja nur Abuela hier, und die würde so etwas niemals wagen.«
Das konnte ich nicht von der Hand weisen. »Ich dachte wohl eher an Joe und Stella. Teresa sagt, sie seien noch nicht sehr lange hier, und mir fiel auf, daß sie… Aber lassen wir das. Es ist sehr schwer zu erklären.«
»Aber durchaus nicht«, seufzte Carlos. »Ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, weil ich glaube, daß Sie für lange, lange Zeit auf unserer Hacienda bleiben werden, querida. Es betrifft unseren Gärtner und seine Frau. Sie sind Mexikaner, und illegal in dieses Land gekommen. Wo sie vorher arbeiteten, wurden sie schlecht behandelt. Leuten, die über den Rio Grande hierher kommen, passiert das öfter. Zufällig gerieten sie an uns, und wir stellten sie ein. Sie haben Angst, irgend jemand könnte erfahren, daß sie illegal hier sind, und sie anzeigen. Aber stehlen – selbst wenn sie in dieses Zimmer könnten –, das würden sie nie. Viel eher würden sie ihr Leben für uns und die Hacienda geben. Jetzt wissen Sie also unser kleines Geheimnis. Warum vertrauen Sie mir nicht auch das Ihre an? Wo wollten Sie eben hin, als wir uns hier im Korridor trafen? Sie wollten doch irgendwohin?«
Meine Gedanken überstürzten sich. Es schien tatsächlich, daß Carlos mir eben ein Geheimnis anvertraut hatte. Und ich war zwar sicher, daß Mexikaner zurückgeschickt wurden, wenn man sie erwischte, doch hatte ich keine Ahnung, ob jemand, der ihnen Arbeit gab, deswegen bestraft wurde. Aber durfte ich Carlos vertrauen? Doch, das konnte ich wohl. Dieser Mann hatte mich eben in seine Arme geschlossen und gesagt, daß ich lange, lange Zeit auf dieser Hacienda sein würde. War das nicht ein Heiratsantrag? Warum sollte ich also nicht zugeben, daß ich bei Rosa gewesen war und daß Rosa und ich gemeinsam ihr Versprechen bezüglich der Karten gebrochen hatten? Warum sollte ich ihm nicht sagen, daß ich deswegen Sorge um Rosa hatte.
Carlos schien mir deswegen nicht böse zu sein. »Ich verstehe«, sagte er ruhig. »In
Weitere Kostenlose Bücher