Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
weiterzugehen. Sie hatten es versucht, alles war wie immer gewesen. Aber sie hatte ihm angesehen, dass er nicht mehr wusste, wer sie war. Dass er nicht damit umgehen konnte, noch nicht zu wissen, wer sie geworden war.
Als sie aus dem Tunnel ins weiße Sommerlicht zurückkehrten, rief Bermann an. »Dein Vermummter«, sagte er.
»Ja?«
Bermann wollte, dass sie vorerst nicht über den Mann sprach.
Sie wussten nicht, wohin er gehörte. Was, wenn er ein V-Mann war? Sie konnten nicht nach ihm fahnden lassen, wenn nicht klar war, ob sie ihn dadurch gefährden würden. Und falls er auf der anderen Seite stand, war es ohnehin besser, im Stillen zu versuchen, etwas herauszufinden. Kein Wort also, befahl Bermann. Auch nicht in der Soko. Vor allem da nicht. »Aber wir bleiben dran.«
»Du meinst: du und ich.«
»Ja. Anselm glaubt, dass du ohnmächtig warst und dir den Mann eingebildet hast.«
»Dachte ich’s mir.«
»Was Anselm glaubt, muss uns nicht interessieren.«
Sie lächelte und schwieg. Es war ein merkwürdiges Gefühl, plötzlich zu Rolf Bermanns Vertrauten zu gehören. Angenehm und zugleich unangenehm.
»Also dann«, sagte Bermann.
»Also dann.«
Schweigen und dranbleiben, der klassische Zweisatz.
Bermanns Vorschlag war angesichts der Zuständigkeitsfragen, der Einmischungen von außen, der diversen »Gefühle«
vernünftig. Und falls er das Dranbleiben aus Respekt vor Autoritäten irgendwann vergaß, würde sie ihn schon daran erinnern.
Als seine Vertraute.
Sie bat die Beamten, über die PD zu fahren. Dort lieh sie sich aus dem Spind einer Kollegin eine Bluse, dann fasste sie die Gespräche mit Täschle und Lisbeth Walter auf Band zusammen, ohne den Vermummten zu erwähnen, und brachte das Band einer der Sekretärinnen zum Abtippen. Anschließend ging sie zum Waffen- und Gerätewart im Sachgebiet Technik. Sie brauchte einen Ersatz für ihre Pistole, die der Erkennungsdienst wegen der Fingerabdrücke kassiert hatte.
Aber der WuG gab ihr keinen Ersatz. Es war nicht vorgesehen.
Sie nickte. Sie wusste, dass es nicht vorgesehen war. Doch es war notwendig.
Der WuG blieb hart. Was nicht vorgesehen war, konnte nicht notwendig sein.
Wenig später, auf dem Weg nach Hause, rief Bermann erneut an. Er klang aufgeregt, gehetzt, im Hintergrund waren Stimmen und Hundegebell zu hören. Sie hatten ein zweites Depot gefunden. Plastiksäcke mit Munitionskisten aus Blech, insgesamt mindestens fünfzigtausend Schuss. Dazu mehrere leichte Maschinengewehre, Fliegerabwehr-Raketen und Mörsergranaten.
Louise fiel Brenners Kommentar ein. Da wollte jemand Krieg fuhren.
Die Frage war nur: wo?
II
DER MORD
5
ZU HAUSE WARTETEN DIE FLASCHEN, die Dämonen und eine unbeschreibliche Hitze. Sie öffnete die Fenster, zog die Vorhänge zu, stieg aus der Jeans. Auf dem Anrufbeantworter waren drei Nachrichten. Sie sollte sich günstig privat krankenversichern lassen, sie sollte einen Ehevertrag ins Estnische übersetzen, sie sollte Günter anrufen.
Einen Ehevertrag ins Estnische?
Sie löschte die Nachrichten.
Minutenlang saß sie auf dem Sofa, blickte auf die Flaschen und dachte herausfordernd: Heute nicht. Die Dämonen gaben keine Ruhe, aber sie wirkten ein wenig kraftlos und schienen die Auseinandersetzung zu scheuen.
Erleichtert ging sie mit den Unterlagen der Ermittlungsgruppe, die sie sich von Alfons Hoffmann und Elly hatte geben lassen, ins Bett. Sie las ein paar Minuten unaufmerksam, dann legte sie den Akt auf den Fußboden. Es war eigenartig still geworden in ihrem Schlafzimmer, in ihrer Wohnung. Still in ihrer Welt, die noch immer überwiegend aus Erinnerungen, Sehnsüchten und Kämpfen zu bestehen schien. Zusammen genommen mochte das auch ein Leben ergeben, aber sicherlich nicht jenes Leben, das sie sich gewünscht hatte.
Dann ändere es, dachte sie. Ruf irgendjemanden an. Ruf Richard Landen an. Steh auf und meditier. Mach Taiji. Geh auf den Schießstand, hol den Polo. Tu irgendwas.
Aber liegen zu bleiben war einfacher. Außerhalb des Bettes warteten die Erinnerungen, die Sehnsüchte, die Kämpfe.
Sie rollte sich zusammen, lauschte dem Ticken der Sekunden, die der Wecker vor sich hinzählte, beschloss, nie wieder aufzustehen.
Gegen sechs musste sie auf die Toilette. Sie nutzte die Gelegenheit und kehrte nicht ins Bett zurück.
Unter der Dusche dachte sie an Richard Landen. Vor dem Spiegel dachte sie an Richard Landens Frau.
Tommo, die Bleistiftfrau.
In wenigen Wochen würde die Niederkunft sein. War Tommo
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