Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Produktion?
»Und was soll das heißen, die hatten Krieg daheim?«, fragte Bermann. »Dürfen sie deshalb bei uns Gesetze brechen?« Er hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt, das Hemd aus der Jeans gezogen. Trotzdem lief ihm der Schweiß in Strömen über Stirn und Wangen. In seinem Schnurrbart hingen transparente Perlen.
»Das soll nur heißen, dass sie daheim Krieg hatten«, sagte Löbinger freundlich.
Louise erhob sich. Bermanns Schnurrbart hatte sie an Pham erinnert. Pham, der kleine vietnamesische Junge, den Bermann auf seine unnachahmlich rücksichtsvoll-rücksichtslose Weise in seinen privaten Kindergarten integriert und »Viktor« genannt hatte. Bermanns Schnurrbart war für Pham die große Attraktion gewesen, nachdem sie ihn und das kleine Mädchen aus Poipet im Februar befreit hatten.
Sie sah Löbinger an. »Was macht ihr mit Günter?«
»Wird suspendiert.«
»Was überfällig war«, sagte Bermann.
»Ihr könnt niemanden suspendieren, weil ihm schlecht war.«
Aber Löbinger schüttelte den Kopf. Günter hatte sie im Stich gelassen, Günter hatte sie in Gefahr gebracht, Günter war raus.
Seit Monaten, Jahren ging er ihnen auf die Nerven, war er nicht mehr teamfähig. Er war »ein Psycho«, er war raus.
Louise fröstelte. Hatten die Kollegen vor ein paar Monaten hinter vorgehaltener Hand von ihr genauso gesprochen? Sie nahm sich vor, in Sachen Günter auf Almenbroich einzuwirken.
Er verdiente noch ein wenig Geduld.
»Du siehst blass aus, Luis«, sagte Löbinger.
»Ich lass dich jetzt heimfahren«, sagte Bermann.
»Und der Mann, der mich verbunden hat?«
Bermann winkte ab. »Später.«
»Glaubt ihr, ich habe fantasiert?«
Löbinger räusperte sich und lächelte zärtlich. Louise begriff.
Die merkwürdige Zeugin und ihre höllischen Legionen hatten seine Ratio genug strapaziert. Ein vermummter Retter war nicht mehr drin.
Seltsamerweise störte sie das nicht. Es spielte keine Rolle. Die Wahrheit wurde dadurch nicht tangiert. Ganz gleich, wie sie aussehen mochte.
Bermann dagegen schien sich aus anderen Gründen im Moment nicht auf ein Gespräch über den Unbekannten einlassen zu wollen. Er sagte noch einmal: »Später«, und an seinem Blick glaubte sie zu erkennen, dass er später tatsächlich darauf zurückkommen würde. »Jetzt fährst du erst mal heim, legst dich in die Wanne …«
»Ich muss zu Riedinger.«
Bermann schüttelte den Kopf. »Du fährst jetzt heim.«
Abwarten, dachte sie.
»Vor morgen will ich dich nicht wiedersehen, klar?«
Sie lächelte. Der gute, neue Bermann, die gute, alte Louise.
Draußen kamen sie an der indischen Ärztin vorbei. Louise fragte, ob sie Buddhistin sei. Die Ärztin schüttelte den Kopf, sie war Muslimin. Muslime in Indien? Dafür kaum ein Prozent Buddhisten? Erstaunlich. Louise lächelte erschöpft. Bermann, der die Hand auf ihren Rücken gelegt hatte, schob sie weiter.
»Hast du deinen Buddhismus-Menschen eigentlich mal wiedergesehen?«
»Nein.«
»Besser so. Der war nichts für dich. Viel zu langweilig.«
Irgendwo hinter ihnen kicherte Löbinger.
Zwei Bereitschaftspolizisten bekamen den Auftrag, sie nach Hause zu bringen. Da wegen der hohen Temperaturen niemand ein zusätzliches T-Shirt oder eine Jacke trug, musste sie sich weiterhin mit der Johanniter-Decke behelfen. Sie hatte sie sich um den Körper geschlungen, so dass die Schultern frei waren.
Reglos saß sie im Fond. Es war vierzehn Uhr. In einer Stunde kam die Soko »Waffen«, die mittlerweile aufgerufen worden war, zusammen. In einer Stunde war sie mit dem weißen Polo verabredet. In einer Stunde, nahm sie sich vor, würde sie im Bett liegen und an die beiden Männer denken, die ihr nichts getan hatten, als sie die Gelegenheit dazu gehabt hatten.
Sie fuhren durch das schmale Hintertal entlang der Brugga, kamen über Oberried ins Kirchzartener Becken. Auf der rechten Seite tauchte Kirchzarten auf, vor ihnen lagen Riedingers Weide, die B 31 und, in der Ferne jenseits davon, der Flaunser.
Irgendwann bald würde sie Bermann bitten, sie dorthin zu bringen, wo sie Taro gefunden hatten. Irgendwann bald würde sie Nikschs Grab aufsuchen. Sie fand, dass sie endlich beginnen musste, Abschied zu nehmen von den Toten des Winters.
Vielleicht auch von den Lebenden.
Später, im Tunnel, dachte sie an Anatol, der heute Abend zu ihr kommen würde. Anatol, der Mitternachtsmann. Sie ahnte, dass auch hier ein Abschied bevorstand. Manchmal schien das Leben davor danach doch nicht einfach
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