Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Im Sommer der Mörder
Vom Netzwerk:
Spiegel, anderen. Was sie las, war deprimierend, aber das Lesen selbst vermittelte ihr ein Gefühl der Befriedigung. Keine Zeugen mit einer eigenwilligen Einstellung zur Realität, keine höllischen Legionen oder andere Gestalten aus Büchern, sondern Zahlen, Tatsachen, Konkretes.
    Ein Abriss menschlicher Skrupellosigkeit, aber ein Gerüst aus Gewissheiten.
    Auf dem Balkan hatte sich in jenen Jahren die halbe Welt engagiert. Die Serben, las sie, hätten Waffen, Geld und Unterstützung beispielsweise aus Russland und Israel bekommen, die bosnischen Muslime aus Pakistan, dem Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, den USA, Nigeria, Sudan, der Türkei, anderen GUS-Staaten, die Kroaten aus Deutschland, Italien, Österreich, Polen, Ungarn, den USA, Argentinien, Singapur, wieder anderen GUS-Staaten. Die Slowakei und China hatten offenbar an alle Kriegsparteien geliefert. In der Adria hatte die NATO Anfang Januar 1993 ein Schiff mit russischen und chinesischen Luftabwehrflugkörpern, etwa sechzig Geländewagen, leichten Waffen, Munition aufgebracht. In Zagreb hatte die CIA eine iranische Boeing 747
    mit Waffen und Munition entdeckt. In einer Budapester Wohnung waren Waffen und Munition gefunden worden, auf dem Prager Flughafen als »ziviles Material« deklarierte sowjetische Kampfhubschrauber, in Graz Granaten, Panzerabwehrraketen, Maschinengewehre.
    Geburtswehen der Demokratie, wenn sie es damals richtig verstanden hatte.
    Sie aß das letzte Sushi, trank den letzten Schluck Wasser. Sie hatte genug von dem Gerüst aus Gewissheiten.
    Doch zwei Fragen gingen ihr nicht aus dem Kopf. Erstens: Was hatte der Jugoslawienkrieg mit den beiden Waffendepots im südlichen Schwarzwald zu tun? Zweitens: Hatte er überhaupt etwas damit zu tun?
    Sie wischte sich Mund und Hände an der Serviette ab, griff nach dem Handy. Diesmal war die Leitung frei, und Brenner ging sofort dran. Er klang müde, war vergangene Nacht sicherlich nur wenige Stunden zu Hause gewesen.
    »Du wolltest mich was fragen.«
    »Wollte ich das?«
    »Fragst du jetzt, oder fragst du nicht?«
    »Bin nicht in Stimmung.«
    »Gut, dann was anderes. Wie alt sind die Waffen, Wilhelm?«
    »Wilhelm?«, murmelte Brenner. »Keiner sagt ›Wilhelm‹ zu mir.«
    Louise unterdrückte die aufkeimende Ungeduld. Auch Kriminaltechniker waren gelegentlich überarbeitet, übermüdet, überfordert. »Sondern?«, fragte sie sanft.

    Aber Brenner hatte sich wieder im Griff. »Die Waffen«, sagte er. »Bermann hat mich heute Mittag auch schon gefragt. Steht es noch nicht im Akt?«
    Sie blätterte zu den Unterlagen der KTU, fand einen Eintrag von heute, den sie übersehen hatte. »Entschuldige.«
    »Schon gut.«
    Die Pistolen und die Maschinenpistolen waren in der Belgrader Zentrale von Zavodi Crvena Zavasta hergestellt worden, die Klein-Maschinenpistolen im Zweigwerk Kragujevac. Produktionsbeginn war für die Pistolen wohl 1957
    gewesen – deswegen »Modell 57« –, für die Maschinenpistolen 1970 – »Modell 70« –, für die Klein-Maschinenpistolen –
    »Modell 61« – 1961 oder später, da das Skorpion-Original erst seit 1961 in der damaligen Tschechoslowakei gebaut worden war. »Aber die Dinger sind keine vierzig oder fünfzig Jahre alt, oder?«, fragte Louise.
    »Nein, wohl nicht«, sagte Brenner. Seine Quellen besagten zwar, dass die Klein-Maschinenpistolen vermutlich vor 1970
    hergestellt worden waren, aber die Pistolen und die Maschinenpistolen stammten eher aus den Achtzigerjahren.
    Genaueres ließ sich erst in Tagen, womöglich Wochen sagen.
    Die Waffen waren weitgehend zerstört, Gebrauchsspuren nicht zu rekonstruieren oder zu analysieren. Beschießen konnte man sie logischerweise nicht mehr, und an die Produktionslisten des Herstellers kam man, wenn überhaupt, nur mit größter Mühe.
    »Dein Almenbroich hat uns gebeten, eine Verkaufswegeanfrage nach Belgrad zu schicken.« Brenner lachte ratlos.
    »Er hat Druck von außen.«
    »Von außen oder von oben?«
    »Sowohl als auch.«
    »Na.« Sie hörte, dass Brenner sich eine Zigarette anzündete und ein Fenster öffnete. Die leichten Maschinengewehre und die Munition aus dem zweiten Depot, sagte er, stammten auch von ZCZ. Tausende Schuss für die vier Waffentypen. Die Fliegerabwehr-Raketen, Modell »Strela«, waren sowjetischer Bauart und in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, arabischen Ländern, aber auch in Finnland verbreitet gewesen.
    Mehr hatten sie dazu noch nicht zusammengetragen, diese Waffen waren

Weitere Kostenlose Bücher