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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Im Sommer der Mörder
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eben erst angeliefert worden.
    Sie schwiegen. Brenner rauchte geräuschvoll, Louise dachte über das Gehörte nach. Aber sie konnte sich nicht darauf konzentrieren. Zu viele Waffentypen, zu viele Nationen, zu viele Möglichkeiten.
    Mittlerweile waren einige Gäste gegangen, zwei Tische frei.
    Der alte Japaner räumte Geschirr und Glas weg. »Kommen später«, flüsterte er und lächelte. Sie lächelte ebenfalls, nahm das Telefon in die rechte Hand, weil die Wunde am linken Arm wieder schmerzte.
    »Was ich dich fragen wollte«, sagte Brenner. Sie hörte, dass er das Fenster schloss. Dann fragte er endlich. »Ist Zen-Buddhismus gefährlich?«
    Weitere Fragen folgten, zur Präzisierung der ersten: War Zen-Meditation gefährlich? Im Sinne von schädlich? Verlor man den Kontakt zur Realität? Den Verstand? Wurde man von einem Guru in Trance versetzt? Waren Drogen im Spiel? Sex?
    »Sex?«
    »Na ja.« Brenner lachte freudlos. Sein siebzehnjähriger Sohn hatte beschlossen, bei einem Zen-Meister Meditationsunterricht zu nehmen. Seine Frau fand die Idee Besorgnis erregend, Brenner fand die Idee absurd. Sein Sohn verstand die Einwände nicht. Was war daran auszusetzen, wenn man sich hinhockte und versuchte, eine Weile an nichts zu denken? »An nichts zu denken«, sagte Brenner erschüttert, »und dann setzt er sich am nächsten Tag in die Schule und denkt an nichts und fällt wieder durch.«
    »Vielleicht fällt er auch wieder durch, wenn er keinen Meditationsunterricht nimmt.«
    »Mach’s nicht kompliziert, Luis«, sagte Brenner. »Erzähl doch mal, wie war das so bei den Buddhisten?«
    Also erzählte sie, wie es bei den Buddhisten so gewesen war.

    Als sie eine Weile später in das rotgoldene Abendlicht hinaustrat, war sie nicht sicher, ob es ihr gelungen war, Brenner zu beruhigen. Er war abwechselnd erstaunt, fasziniert, entsetzt, amüsiert gewesen. Welches Gefühl letztlich überwog, wusste sie nicht. Vielleicht hing es davon ab, welcher Art seine Sorge war: War es die Sorge des Vaters? Des Polizisten? Eine christlich-abendländische Sorge? Eine Sorge aus Neid?
    Das hatte sie im Kanzan-an vermisst: das Fragen nach den Ursachen menschlichen Handelns, Denkens, Fühlens. Im Zen –
    oder überhaupt im Buddhismus? – schien es keine Rolle zu spielen. Dort ging es darum, Gefühle aufzulösen, die Vorstellung von einem Ich abzulegen. Die Ursachen für die Gefühle waren offenbar unwichtig. Es ging nicht um Fragen und Antworten, und darin lag für sie das Problem. Zwei Jahrzehnte als Polizistin hatten sie geprägt, vier Wochen Oberberg erst recht. Woher kam das, was man fühlte, dachte, tat? Was lag darunter verborgen?
    Das Fragen war das Wichtige. Oft fand man eine Antwort.
    War es nicht gleich die richtige, dann führte sie zumindest zu weiteren Fragen und Antworten. Am Ende war man kein perfekter Mensch, aber man wusste mehr. Man konnte sich ein Bild machen.
    Fragen wie: Warum hatte sie zu trinken begonnen? Warum hatte sie sich in einen verheirateten Mann verliebt? Warum hatte sie im Kanzan-an nicht aufgehört, in ihn verliebt zu sein?
    Warum, warum, warum?
    Solche Fragen.
    Die Parallelen zu ihrem Beruf waren offensichtlich.
    Irgendwann, dachte sie grinsend, würde sie ihrem Vertrauten Rolf Bermann von den Parallelen zwischen Polizeiarbeit und Psychologie erzählen.

    Vielleicht, wenn er sie das nächste Mal rettete.

    Im Wagen nahm sie das Handy aus der Tasche. Anne Wallmer meldete sich kauend, und Louise entschuldigte sich für die späte Störung. »Bloß ein Kaugummi«, sagte Anne Wallmer. Sie stand in der Eingangshalle der Akademie der Polizei in der Müllheimerstraße, wartete auf Bermann, Schneider, Alfons Hoffmann, mit denen sie im Fitnessraum trainiert hatte.
    »Ihr habt Alfons an eine Maschine bekommen?«
    »Nicht wir, sein Arzt. Kegeln reicht nicht zum Überleben, sagt er.«
    Sie lachten. Dann erkundigte Anne Wallmer sich nach dem Arm. »Tut weh«, sagte Louise.
    »Du bist nicht daheim, oder?«, fragte Anne Wallmer vorsichtig.
    »Nein. Wart ihr heute Nachmittag bei Riedinger?«
    »Ruh dich aus, Luis. Erhol dich. Alles andere hat doch Zeit bis morgen.«
    Zum ersten Mal in sechs Jahren führte sie mit Anne Wallmer ein fast freundschaftliches Gespräch. Schon heute Vormittag, auf dem Weg zum Polizeiposten Kirchzarten, hatte sie gespürt, dass sich in ihrer Beziehung etwas verändert hatte. Auch Anne Wallmer schien sie mit anderen Augen zu sehen. Bei den Männern war das mit Vorsicht zu genießen. Und bei Anne Wallmer?

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