Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
In ihrer Vorstellung saß er mit geschlossenen Augen an einen Baum gelehnt, überblickte das Tal, überwachte ihren Weg. War tot und lebte doch weiter.
So wollte sie an ihn denken.
Andererseits, wie Bermann vorgestern Abend gesagt hatte: Es ist, wie es ist. Die Wirklichkeit gehört auch dazu.
Sie öffnete den Umschlag, hielt inne. Die tröstliche Illusion, die bittere Realität. Doch diesmal ging es in beiden Fällen um Erinnern, nicht um Vergessen.
Diesmal fiel ihr die Entscheidung leicht.
Sie schloss den Umschlag.
Wenige Minuten später stand sie Richard Landen gegenüber und musste sich erneut entscheiden: Sollte sie ihm gleich um den Hals fallen, oder sollte sie es auf später verschieben?
»Ihr habt euch verändert, das Auto und Sie«, sagte er lächelnd, während er auf sie zu kam.
»Wir waren eine Weile in Frankreich, da kann das passieren.«
Sie reichten sich die Hand.
Er hatte sich ebenfalls verändert, war auch optisch vom Winter durchdrungen, hagerer, hatte mehr graue Haare. Tommo in Japan, Landen hier, obwohl sie in wenigen Tagen oder Wochen Eltern wurden, da konnte man allerlei Vermutungen anstellen.
Er deutete auf ihren Arm. »Haben Sie sich verletzt?«
»Bin gegen einen Baum gelaufen.«
»Das passt irgendwie zu Ihnen.«
Sie lachten.
»Und jetzt?«, fragte sie dann.
Er schlug ein Lokal in der Nähe vor. Sie sagte, aber nicht japanisch, Landen sagte, nein, nein, italienisch.
Sie gingen zu Fuß. Louise schwieg, Landen schwieg. Sie hatte den Eindruck, dass das Schweigen ein gutes Zeichen war. Es bedeutete, dass sie über Floskeln hinaus waren. Kein Wie geht’s Ihnen so, kein Ach, eigentlich ganz gut, und Ihnen? Einfach nur schweigen. Anlauf nehmen, um gleich zum Wesentlichen zu kommen.
Sie schaltete das Funktelefon aus.
Landen hob die Hand, deutete auf ein Lokal mit Terrasse.
Louise nickte.
»Möchten Sie draußen sitzen?«
»Drinnen ist besser.« Drinnen hieß dunkler, weniger Leute, mehr Intimität, vielleicht Kerzen und Musik. Drinnen war besser, um gleich zum Wesentlichen kommen.
Sie betraten das Lokal.
Drinnen war perfekt. Niemand sonst saß drinnen.
Sie bekamen Speisekarten in die Hände gedrückt, bestellten, bekamen Mineralwasser, stießen an, bekamen Bruschette, begannen zu essen. Landen räusperte sich ein-, zweimal, Louise spürte, dass er unruhig wurde. Was will diese Frau? Was plant sie? Wird sie über mich herfallen? Wann fällt sie endlich über mich her? Sie unterdrückte ein Lächeln. Lass ihm Zeit, dachte sie und stieß die Gabel in die Bruschetta, lass dir Zeit. Monate waren vergangen, beide hatten sich verändert, wollte sie ihn überhaupt noch? Sie sah auf. Die Augenbraue mit der grauen Stelle hob sich, Landen sagte: »Erzählen Sie, wie geht’s Ihnen so?«
»Ach, eigentlich ganz gut, und Ihnen?«
Ja, sie wollte ihn noch.
Ein Kellner räumte die Bruschetta-Teller ab, ein zweiter brachte kleine Pasta-Portionen. Landen sagte ein wenig zu heiter, das sehe aber sehr gut aus, und sie fand, es war nun an der Zeit, das Wesentliche anzugehen. Sie legte die Gabel hin. »Ich muss Sie was fragen. Warum sind Sie hier und nicht in Japan? Warum sind Sie in der Wiehre und nicht in Günterstal? Und warum waren Sie im Kanzan-an?«
Landen hob die Brauen. »Warum waren Sie im Kanzan-an?
Hatten Sie damals ein Alkoholproblem? Haben Sie immer noch ein Alkoholproblem?«
»Also, das sind schwierige Fragen …«
Er lächelte kampflustig. »Dann fange ich mit einer einfachen an. Was für einen Fall bearbeiten Sie gerade?«
Sie seufzte. Der Weg zum Wesentlichen führte ganz offensichtlich über das Banale.
Immerhin, Landen war beeindruckt. Er habe in der Zeitung von dem Waffenfund gelesen, das Ganze dann aber nicht so ernst genommen. Keine Waffenfreaks, sondern internationale Verstrickungen und sogar ein Mord? Er wollte wissen, was sie herausgefunden hatten, in welche Richtung sie ermittelten, und ganz allgemein, wie man bei Ermittlungen wie dieser vorging.
Sie erzählte, was sie erzählen konnte, blieb entsprechend vage.
Aber sie freute sich über sein Interesse. »Und wie schaffen Sie das?«, fragte er. »Wie werden Sie mit solchen Belastungen fertig? Mord, Waffenhandel, der Stress …«
Sie unterbrachen das Essen, sahen sich an. Eher eine harmlose Frage, entschied Louise, also würde eine harmlose Antwort genügen. »Ach, irgendwie geht’s schon. Ich stehe ein paar Tage unter Strom, dann haben wir den Fall hoffentlich geklärt.« Sie zuckte die Achseln.
»Ich
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