Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
hatte im Winter den Eindruck, dass Sie …«
»Eindrücke können täuschen.«
»Sie möchten nicht darüber sprechen?«
»Worüber?«
»Sie wissen, was ich meine.«
»Im Winter waren Sie irgendwie diskreter.«
»Seitdem ist viel passiert.«
»Zum Beispiel?«
Richard Landen bewegte die Gabel hin und her. »Dies und das.«
Louise lächelte. »Sie wollen nicht drüber sprechen?«
»Essen Sie, die Pasta wird kalt.« Auch Landen lächelte.
Sie blies die Wangen auf. Ein nettes Spiel, aber so kam man nicht zum Wesentlichen, weder jetzt noch später. Sie sagte: »Die Frage ist doch: Warum sind wir hier? Was wollen wir wirklich?
Essen? Nein? Was dann? Und wie kommen wir zu dem, was wir wollen? Müssen wir stundenlang essen, bevor wir das tun, was wir tun wollen? Müssen wir erst das tun, was wir nicht tun wollen, um das tun zu können, was wir tun wollen?«
Landen räusperte sich. »Was wollen wir denn tun?«
Eher keine harmlose Frage. Vermutlich fiel es ihr deshalb so schwer, darauf zu antworten. »Ich glaube, Sie wissen, was ich meine«, sagte sie schließlich.
»Im Winter waren Sie indiskreter.«
»Fängt das schon wieder an …«
Landen lächelte matt. »Also gut, reden wir offen. Ich fliege in ein paar Tagen zur Geburt …«
»Ich will das nicht hören, Ritsch.«
»… zur Geburt unseres … Wie kommen Sie denn auf
›Ritsch‹?«
»Die kleine Punkerin im Winter. Selly.«
»Ach ja. Na, sie ist die Einzige, die mich so nennt.«
»Übrigens, wie geht’s Sellys Mutter und dem Lama in Indien?«
Landen aß wieder. Kauend sagte er: »Also, ich fliege Anfang August nach Japan, um bei der Geburt unseres Sohnes dabei zu sein, und …«
»Ein Sohn, wie niedlich. Schon einen Namen ausgesucht?
Kawasaki? Harakiri?«
»… und Anfang September komme ich zurück. Ohne Shizu und unseren Sohn.«
»Ohne? Das heißt?«
»Das heißt, die beiden werden in Japan leben, ich in Deutschland.«
»Klingt nach einer tollen, modernen multikulturellen Lösung.«
Sie lachte.
»Es ist eher eine multikulturelle Trennung«, sagte Landen.
Eine einfache, saubere Geschichte; keine Demütigungen, Katastrophen wie bei ihr. Tommo hatte nach ein paar Jahren Deutschland gemerkt, dass sie hier nicht zurechtkam. Landen hatte gemerkt, dass er mit dem Gedanken an eine Trennung überraschend gut zurechtkam. Kompliziert wurde es, weil Tommo schwanger war. Das eigene Kind am anderen Ende der Welt? Landen sagte: »Ich hatte eine andere Vorstellung von meinem Leben.« Zerstörte Lebensentwürfe, dachte sie, die unspektakulären Katastrophen.
Der eine Kellner räumte die leeren Pasta-Teller ab, der andere brachte die Secondi. Louise sagte: »Was tun Buddhisten, wenn sie sich trennen? Ich meine, wie gehen sie damit um?«
»Das weiß ich nicht.«
Sie sahen sich schweigend an. Louise ging der Gedanke durch den Kopf, dass Landen über Krisenbewältigung vermutlich anders dachte als sie. Keine Ablenkungen. Dafür bewusste Trauerarbeit. Wenn nicht auf die buddhistische Art, dann auf die psychologische. Und das hieß wohl auch: Eine neue Beziehung erst dann, wenn die alte so richtig verarbeitet war.
Sie stöhnte lautlos. Sie war an den Falschen geraten.
Blieb die Frage, ob nicht gerade der Falsche auf irgendeine verquere Weise der Richtige war.
Buddhismus, die nächste unspektakuläre Katastrophe. Sie waren inzwischen beim Espresso angelangt. Louise hatte sich von ihren Plänen für diesen Abend verabschiedet, die Enttäuschung verdrängt, das Handy eingeschaltet. Richard Landen erzählte, dass er sich seit ein paar Wochen frage, inwieweit all das Buddhistische und Japanische in seinem Leben mit seiner Frau zusammenhänge. Was bedeute es ihm über das Zusammensein mit seiner Frau hinaus? »Vorher hat’s Ihnen doch auch was bedeutet.«
»Aber inzwischen ist es untrennbar mit Shizu verbunden, und deshalb frage ich mich, was damit passiert, wenn wir nicht mehr verheiratet sind.«
»Weil es Sie an sie erinnert?«
»Auch, aber nicht nur. Ich könnte mir vorstellen, dass ich es mit anderen Augen sehe, wenn sie fort ist.« Er lächelte vage.
»Klingt ein bisschen nach einem akademischen Problem, nicht?«
»Na, allerdings.«
»Trotzdem ist es ein Problem.«
»Wohnen Sie deshalb in der Wiehre und nicht in Günterstal?«
»Auch.« Günterstal tat ihm im Augenblick nicht gut. Zu viel Japanisches, Buddhistisches, das Scheitern dieses Lebens in jedem Winkel spürbar. All die Fragen, die ungeklärten Dinge.
Die Vergangenheit, die Zukunft.
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