Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
sterben wollte er nicht. Der Hannes hat geheiratet, dann kamen die Kinder, und die ganze Zeit saß der Alte in seiner Dachkammer und brabbelte vor sich hin und wollte nicht sterben …«
Täschle brach ab. Sie hatten den Posten erreicht.
»Jedenfalls, als die Kinder Anfang der Neunziger sagten, dass sie den Hof irgendwann mal übernehmen wollen, ist der Hannes auch durchgedreht. Hat sie nach England aufs Internat geschickt und angefangen, Tiere und Grund abzustoßen, Leute zu entlassen. Deshalb ist die Kathi gegangen. In der ersten Zeit kamen die Kinder in den Ferien noch heim, aber irgendwann kamen sie nicht mehr.«
»Und der alte Riedinger? Der Vater?«
»Ist erst gestorben, als er mit dem Sohn wieder allein war.«
Täschle schüttelte den Kopf. »Wenn man sich das vorstellt …
Was manche Leute mit ihrem Leben machen.« Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Man muss doch was tun, damit es nicht so wird, oder? Denken Sie nicht?«
»Deswegen habe ich mich scheiden lassen. Damit es anders wird.«
»Ja«, sagte Täschle. »Genau das meine ich.«
Er stieg aus, ging zu seinem Fahrrad. Sie sah ihm nach, während er Richtung Hügel davonfuhr.
Sonnenuntergang in Oberried.
Der Geist war fort, die Weide lag verlassen. Sie sah auf die Uhr.
Knapp eineinhalb Stunden bis zu ihrer Verabredung mit Richard Landen. Sie griff zum Telefon, ließ sich von Alfons Hoffmann Baudys Adresse geben. Eine Straße am Ortsrand in der Nähe der
»Talvogtei«. Sie kehrte zum Polizeiposten zurück, folgte der Straße, die sie am Vortag mit Täschle gefahren war. Sie dachte an Oberried. Sie hätte Täschle und Lisbeth Walter gern dabei zugesehen, wie sie mit dem umgingen, was mit ihnen geschah.
Ein hübsches blaues Häuschen, ein Vorgarten mit Blumenbeeten, im Hof die Tischlerei. Sie wusste aus den Unterlagen, dass Baudy seit zwei Jahren geschieden war.
Vielleicht fiel ihr deshalb auf, wie gepflegt das Haus und der Vorgarten waren.
Baudy war nicht da, weder im Haus noch in der Werkstatt.
Als sie zum Auto zurückkehrte, sah sie ihn den Gehweg entlangkommen. Sie blieb stehen, griff nach dem Dienstausweis.
Baudy trug einen einfachen blauen Anzug, ein weißes Hemd.
Die Haut an seiner Stirn und Nase war leicht gerötet, Teile der Augenbrauen waren versengt. Die Wangen waren eingefallen, unter den Augen lagen dunkle Ränder. »Lohnt sich nicht, ins Haus zu gehen«, sagte er. »Ich werde gleich abgeholt.«
»Kein Problem. Es dauert nicht lang.«
Sie blieben draußen, auf dem Gehweg.
»Wie geht’s Ihrer Tochter?«
»Gut.«
»Und Ihnen?« Sie hob die Hand, berührte ihre Stirn.
»Ist nicht so schlimm.«
»Schlimm ist, was mit Lew Gubnik passiert ist?«
Er schwieg, wartete. Er hielt Abstand, sein Blick war distanziert. Sie wussten beide, dass es für die Kripo an sich keine Veranlassung mehr gab, mit ihm zu sprechen. Sein Verhalten am Brandort untersuchten Berufsfeuerwehr und Staatsanwaltschaft. Mit den Waffen und dem Feuer hatte er nichts zu tun.
Trotzdem. Irgendetwas in Bezug auf Adam Baudy ließ ihr keine Ruhe. Er war als einer der Ersten am Tatort gewesen.
Schon deshalb war er wichtig.
Sie stellte ihm zwei, drei Fragen zum Morgen des Brandes, Baudy erwiderte, habe ich doch schon beantwortet, oder, steht doch in meinem Bericht. Sie nickte. Die falschen Fragen, weil Baudy aus ihnen immer nur eine heraushören musste: die nach seiner Verantwortung. Die Mühlen der Bürokratie waren unnachgiebig. Er hatte seine vierjährige Tochter zu einem Einsatz mitgenommen, er hatte sich von den Explosionen überraschen lassen, er hatte einen Mann verloren.
Doch andere Fragen fielen ihr nicht ein.
»Ich habe im Radio gehört, dass der Hannes Riedinger tot ist«, sagte Baudy.
»Das ist richtig.«
»Sie sagen, er wurde ermordet.«
Louise nickte. Vielleicht brachte sie das weiter: keine Fragen stellen, sondern Fragen beantworten.
»Sie sagen nicht, ob der Mord was mit dem Schuppen zu tun hat. Mit den Waffen.«
»Wir gehen davon aus.«
Baudy nickte und schwieg.
»Sie hatten keine Chance, Baudy.«
Er wandte den Blick ab. Auf der anderen Straßenseite hatte ein Mercedes-Sprinter gehalten, in dem mehrere Männer saßen. Das Seitenfenster wurde heruntergelassen, sie hörte einen anzüglichen Pfiff aus dem Wageninneren. Der Fahrer sagte zu Baudy: »Da sind wir.«
»Gleich, Paul.«
Paul Feul, dachte Louise. Der mit Lew Gubnik am ersten Rohr gewesen war. Sie musterte Feul, der ihren Blick erwiderte. Auch sein Gesicht war gerötet, auch
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