Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Er schlief schlecht in Günterstal, und das Wachsein gefiel ihm dort auch nicht.
Günterstal nährte Depressionen.
Louise erzählte von Niksch und Günterstal. Von der Küche, die sie nach Nikschs Tod nicht hatte betreten können.
»Deswegen wollten Sie damals nicht mit uns essen.«
Sie nickte.
»Das heißt, Sie würden mich nie in Günterstal besuchen?«
»Sagen wir so: Ich würde Ihnen in Günterstal nie was kochen.«
Sie lachten.
Louise griff nach dem Handy, um es wieder auszuschalten.
Eine Bewegung im Augenwinkel ließ sie innehalten. Ein kleiner dunkler Mann stand plötzlich an ihrem Tisch und sprach mit begeisterten Gesten auf Richard Landen ein. Landen sagte etwas, der kleine Mann sagte etwas, wandte sich ihr zu, Grappa aus Bassano, ein Gedicht, sie nickte, das konnte sie nur bestätigen.
» Salute « , sagte der Mann und ging.
Sie starrte die Grappa aus Bassano vor sich an. Und jetzt?
Trinken, erwiderte eine Stimme in ihrem Kopf. Ein Glas unter Romantikern, was soll daran schlimm sein.
Eigentlich nichts, dachte sie. Ein winziges Glas Grappa mit Richard Landen, das ist wirklich nicht schlimm. Im Gegenteil.
Es löst die Zungen, die Blicke, die Hände. Es hilft, zum Wesentlichen zu kommen. Und es ist ja nur ein Glas.
Nicht einmal das. Ein Gläschen.
Heute schon, dachte sie, dafür morgen nicht, versprochen.
Keine Angst wegen morgen. Sie wusste, wie das Nicht-Trinken ging. Dass sie das Nicht-Trinken beherrschte. Morgen würde sie es zum tausendsten Mal beweisen.
Sie lehnte sich zurück, sah Landen an. Aber wegen eines Mannes?
Nicht wegen eines Mannes, sagte die Stimme in ihrem Kopf, sondern mit einem Mann.
Sie nickte. Das war allerdings ein Unterschied.
Landen sagte etwas, Louise hob den Zeigefinger – nicht jetzt, sie konnte sich jetzt nicht unterhalten, sie musste sich konzentrieren. Sie musste sich allein entscheiden.
Landen sprach weiter, seine Stimme klang drängend, aber die Stimme in ihrem Kopf übertönte ihn. Ein winziges Gläschen, sagte sie. Das erste und das letzte.
Sie schloss die Augen. Das letzte Glas. Wann hatte sie das letzte Glas Alkohol getrunken? Sie wusste es nicht mehr. Sie hatte am Ende nur noch aus Flaschen getrunken.
Sie öffnete die Augen und sagte: »Tja, zurück zu Ihren schwierigen Fragen.«
Später, nachdem sie ihm von der Sucht, von Oberberg, von den einsamen Kämpfen im Kanzan-an erzählt hatte, verließen sie das Lokal. Draußen war es dunkel geworden, abgekühlt hatte es nicht. Die Hitze hing in den stillen Straßen der Unterwiehre fest.
Sie gingen zum Anna-Platz, gerieten zwischen Spaziergänger, Paare, Kinder. Landen wirkte nachdenklich und besorgt, was ihr langfristig gefiel, kurzfristig nicht.
Schließlich fragte er, ob ihr das Zen geholfen habe – »dabei«.
»Dabei«, wiederholte sie. Warum hatte sie immer, wenn sie in seiner Nähe war, das Gefühl, für ihn zu schmutzig zu sein? Im Winter das reine Landen’sche Tässchen, das sie nicht hatte anfassen können, im Sommer die reine Landen’sche Sprache …
Zu rein der ganze Mann, um sich mit Worten, die ihren Zustand benannten, zu beschmutzen.
Mit einer Frau, wie sie es war.
Aber vielleicht machte ihn das ja so anziehend. Richard Landen, die Insel der Seligen, Verheißung für Louise Bonì, die im Schmutz ihrer Seele, ihres Berufes, ihres Lebens schwamm.
»Beim Aufhören«, sagte Landen.
Sie runzelte die Stirn. »Ich war, ich meine, ich bin Alkoholikerin, gewöhnen Sie sich mal dran.«
»Das habe ich schon verstanden.«
»Dann sprechen Sie’s auch aus.«
»Hat Ihnen das Zen geholfen, während Sie versucht haben, mit dem Trinken aufzuhören?«
»Na also, geht doch. Nein, hat es nicht. Also, vielleicht ein bisschen.«
»Haben Sie Zazen praktiziert?«
Sie lachte. »Viel zu anstrengend. Außerdem geht es auf die Gelenke.«
»Man kann ja auch auf eine andere Weise meditieren.«
»Ich bin zu faul und zu ungeduldig zum Meditieren.«
»Was haben Sie dann die ganze Zeit im Kanzan-an gemacht?«
»Ich bin spazieren gegangen, hab mit dem Roshi und Chiyono und den anderen geredet, Tee getrunken, die Katze gestreichelt, geschlafen, Briefe geschrieben, die Briefe zerrissen, mich geärgert, gefroren, geheult, Heimweh gehabt und so. Da vergeht die Zeit.« Sie wedelte mit den Händen. »Jetzt zu Ihnen. Warum waren Sie im Kanzan-an?«
Landen zögerte. »Das weiß ich nicht mehr so genau.«
»Mir reicht auch ungenau.«
»Nun, Sie waren wie vom Erdboden verschwunden.
Außerdem war zu vieles
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