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Boy 7

Boy 7

Titel: Boy 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Mous
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eine Tür, die sich automatisch öffnete, als der Mann einen Pass an die Wand hielt. Ich roch Bohnerwachs und Desinfektionsmittel. Wir kamen an einigen Klassenzimmern vorbei und danach an einem größeren Raum mit einer Küche.
    »Der Speisesaal«, erklärte die Frau. »Ihr habt abwechselnd Küchendienst.«
    Über eine Treppe erreichten wir die erste Etage. Graue Türen. Bei der zweiten blieben wir stehen. Pass gegen die Wand. Diese musste man jedoch selbst aufdrücken.
    »Dein Zimmer«, sagte die Frau. »Welche Größe hast du?«
    Es dauerte eine Weile, bevor ich begriff, dass sie von meiner Kleidung und meinen Schuhen sprach.
    »Zieh dich schon mal aus und leg deine Kleidung aufs Bett. In drei Minuten holen wir dich wieder ab.«
    Die Tür fiel ins Schloss. Ich wartete, bis ich keine Schritte mehr hörte, dann fühlte ich an der Klinke. Natürlich verschlossen. Mein Blick flog durch das Zimmer, von den hohen, nackten Wänden zum vergitterten kleinen Fenster.
    Gitter!
    Zwischen meinen Augenbrauen brach etwas. Ich verwandelte mich in ein wildes Tier, das nach einer Fluchtroute sucht, und bollerte mit den Fäusten gegen die Tür. »Lasst mich raus!«
    Es schien, als hätten die Weißkittel nur darauf gewartet, denn sie ging sofort auf.
    »Ich will nach Hause.« Ich erstickte fast an meinen Tränen. »Zu meiner Mutter und meiner Schwester und ...«
    Unbeirrt legte die Frau einen Stapel Kleider und ein Paar Bergschuhe auf das untere Bett. »Umziehen und deine Kleidung abgeben.«
    »Nach Hause«, jammerte ich.
    »Wenn du nicht mitarbeitest, sind wir gezwungen, dich zu separieren.«
    In meinem Kopf spulte sich ein Horrorfilm ab. Über einen Jungen, der ganz allein in einem winzigen Zimmer sitzt, das Licht an oder aus – ich wusste nicht, was ich schlimmer fand –, sodass er jegliches Zeitgefühl verliert. Niemand spricht mit ihm, da ist nur die summende Stille, bis er anfängt, mit sich selbst zu reden, um wenigstens etwas zu hören, und langsam, aber sicher den Verstand verliert.
    Das half mir, den Schalter umzulegen, oder vielleicht war ich nur einen Augenblick wie gelähmt vor Angst. Auf jeden Fall zog ich mein Hemd aus und warf es neben meinem Rucksack aufs Bett. Mein Rucksack. Wenn sie den auch noch mitnahmen, hatte ich gar nichts Eigenes mehr.
    Ich zog das Hemd an, das mir die Frau hingelegt hatte. Der Stoff war rau und roch nach einem billigen Waschmittel.
    Wenn ich meine Tasche bloß verstecken könnte. Aber das würden die Weißkittel sofort merken. Ich zog die Schuhe aus und streifte die Socken von den Füßen.
    Aber vielleicht konnte ich ja ungesehen etwas herausnehmen!
    Ich löste den Gürtel und die Knöpfe von meiner Hose und stieg heraus.
    Eine Kleinigkeit würde bestimmt nicht auffallen. Ein einziges kleines Teil von zu Hause ... Auf einmal war es lebenswichtig.
    Ich habe einmal gelesen, dass manche Menschen in Stresssituationen fantastische Leistungen erbringen. Dass die Panik erst danach aufsteigt, dass sie auf dem Höhepunkt ihre Angst vergessen und ganz kaltblütig werden. So ging es mir auch. Auf einmal wusste ich, was ich machen musste.
    »Ich ziehe meine Unterhose wirklich nicht aus, wenn ihr mir dabei zuschaut«, sagte ich.
    Die Frau seufzte. Aber dann wandten die Weißkittel doch ihre Gesichter zur Wand. Noch nie war ich so schnell. Ich fasste in meinen Rucksack. Dieses Notizbuch war das Erste, was ich fand; binnen zweier Sekunden lag es sicher zwischen Laken und Decke des unteren Etagenbetts.
    Puh. Ich zog die Boxershorts an, die steife Jeans, die dunkelblauen Socken mit der 7 darauf und die Bergschuhe.
    »Fertig.«
    Der Mann raffte meinen Rucksack und die Kleidung vom Bett.
    »Wann bekomme ich die zurück?«, fragte ich.
    »Mitkommen«, kommandierte die Frau.
    2
    In meinem Kopf drehte sich alles. War ich aus dem großen grauen Gebäude entkommen? Es schien mir unmöglich, es sei denn, man wäre Supermann.
    Beim Abendessen sah ich die anderen Boys zum ersten Mal.
    »Das ist Seven, er ist neu in eurer Gruppe.« Der weibliche Weißkittel schob mich zu einem freien Stuhl.
    »Hallo«, sagte ich, »ich bin Sam Waters.«
    Sam Waters! Laut wiederholte ich meinen Namen. Ich ließ ihn über die Zunge rollen. Ich flüsterte ihn, ich rappte ihn. Sam Waters, das war ich!
    Es wurde augenblicklich still. Zwei Jungen starrten mich an, als hätte ich einen schrecklichen Fluch ausgesprochen. Ein dritter, bebrillter Junge sah mich eher neugierig als geschockt an. Seine Blicke schossen hinter den

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