Boy 7
die Eingangshalle zum Duschraum. Man hat drei Minuten zum Einseifen und Abspülen, danach ist das warme Wasser verbraucht. Dahinter kam ich an diesem Morgen jedoch zu spät. Die Handtücher um die Taille geschlungen, marschierten wir zurück in die Schlafzimmer. Dort hieß es, fix anziehen und blitzschnell das Bett machen, denn wenn man nicht pünktlich um halb acht im Speisesaal ist, kann man das Frühstück vergessen, sagte Louis. Wir bekamen schmierigen Brei mit Klümpchen, den ich aber trotzdem aufaß – womit ich mir einen giftigen Blick von Four einhandelte –, denn nach der übersprungenen Mahlzeit vom Tag zuvor knurrte mein Magen. Boy Three und Five hatten Küchendienst, was ich nicht sehr clever fand von der Leitung, aber vielleicht hofften sie, das Einräumen der Spülmaschine würde für Verbrüderung sorgen. Wir gingen zum Zähneputzen und anschließend mitsamt unserer mit identischer Sportkleidung gefüllten grünen Rucksäcke in den Unterricht.
Sobald ich das Klassenzimmer betrat, vergaß ich für einen Augenblick, dass ich schwer in der Tinte saß. Dort standen die unglaublichsten Computer – echt nicht normal! Alle auf dem technischen Höchststand mit allerneustem Drum und Dran. (Leider sind sie nicht ans Internet angeschlossen, sonst hätte ich heimlich ein paar Mails verschicken können.) Wir bekamen allerlei Aufgaben, die meine Mitschüler nicht lösen konnten, woraufhin ich alles erklären und zeigen durfte, und ich muss schon zugeben, dass mir das ein ziemlich gutes Gefühl gab. Für einen Moment war ich so was wie der Superstar der Gruppe.
Wir haben einige Stunden pro Tag Sport. Es gibt einen speziellen Fitnessraum, eine Turnhalle und sogar eine überdachte Hindernisbahn. Das erste Mal, als ich fünfzig Meter unter einem Netz hindurchrobben musste, war ich vollkommen erledigt, aber meine Kondition wird immer besser. Für Four bleibt jede sportliche Aktivität eine wahre Folter. Bei der geringsten Anstrengung pfeift er aus dem letzten Loch und schwitzt wie ein schwerkranker Herzpatient. Louis und Coach Two dagegen sind so behände wie Affen und können sogar über eine meterhohe Wand klettern. Ohne Seil.
Mittlerweile bin ich dahintergekommen, dass hier alle irgendwie Superstars sind. Manchmal habe ich das Gefühl, ich wäre an einer Talentsuche beteiligt. Five zum Beispiel rechnet zehnmal schneller im Kopf als ich mit dem Taschenrechner. Und Coach Two ist so wahnsinnig gut in Sport, dass er leicht bei Olympia mitmachen könnte.
Eigentlich sind wir eine sechsköpfige Superband. Die Linkin Park der Cooperation.
Bei näherer Betrachtung ist der Vergleich mit Linkin Park bloß Geschwätz. Musiker führen schließlich ein freies Leben. Die hocken nicht im Straflager wie wir.
Zu Mittag essen wir Brote im Speisesaal. Danach marschieren wir wieder zu den Unterrichts- oder Sporträumen und um vier Uhr dürfen wir auf einem eingezäunten Gelände hinter dem Gebäude frische Luft schnappen. Von halb fünf bis halb sechs machen wir Hausaufgaben. Anschließend dürfen wir uns bis zum Abendessen in einem Freizeitraum entspannen, in dem ein Fernseher und eine Tischtennisplatte stehen. Um halb neun müssen wir ins Bett und Punkt neun geht das Licht aus.
3
Während wir frische Luft schnappten, setzte ich mich mit Louis auf die Lehne der einzigen Bank. Three war im Gespräch mit dem Aufsicht führenden Weißkittel – beim Schleimen, meinte Five. Von mir aus durfte Three so viel schleimen, wie er wollte, denn dadurch achtete der Weißkittel nicht auf uns. Der dicke Four hatte sich ins Gras gelegt und kaute auf einem Grashalm. Coach Two rannte eine Runde nach der anderen, was mich ziemlich kirre machte.
»Streber!«, rief Five ihm zu.
Two rannte unbeirrbar weiter. »Ein gesunder Geist gehört in einen gesunden Körper.«
Five lachte ihn aus. »Wenn du einen gesunden Geist hast, bin ich der Weihnachtsmann.«
»Weißt du, weswegen Two hier sitzt?«, fragte ich Louis. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er das Gesetz übertreten hat.«
»Keine Ahnung. Er will nicht einmal mit seinem richtigen Namen rausrücken.« Louis spähte die ganze Zeit um sich, als säßen wir mitten in einer Geheimversammlung. »Er behauptet, Two sei sein einziger echter Name.«
»Und Five?«, fragte ich.
»Der heißt Johnny.« Wieder rotierten Louis’ Radaraugen. »Sowohl in der Schule als auch zu Hause schwer erziehbar.«
Darunter konnte ich mir nun allerdings etwas vorstellen. Jetzt war Four wieder das Opfer.
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