Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
sich ein Wachhäuschen, das allerdings unbesetzt ist.
Wir gehen hinein. Auch hier registriere ich jedes Detail:
Eine elegante Eingangshalle, vier Männer sind dort im Einsatz: ein Pförtner, ein Hausmeister mit Gehilfe und ein Fahrstuhlführer. Gehören offenbar zum Stammpersonal. Das sehe ich an ihrer relaxten Art. Wenn man tagtäglich denselben Job macht, ohne dass irgendetwas Ungewöhnliches passiert, lässt die Wachsamkeit unweigerlich nach. Da nützen auch das beste Training und der härteste Drill nichts. Das Gehirn kann nicht ständig in Alarmbereitschaft sein.
Nur Gefahr schärft die Sinne.
Keine Gefahr, keine Wachsamkeit.
Ein paar Jugendliche, die zu einer Party wollen, sind wohleher harmlos. Und die Mädels sind sogar eine willkommene Abwechslung.
In Begleitung einer hübschen Blondine als Blickfang bin ich absolut unverdächtig.
Wir zeigen unsere Ausweise vor und ein weiterer Wachmann mit einem Klemmbrett in der Hand hakt unsere Namen auf einer Gästeliste ab. Nicht ohne dabei Erica in den Ausschnitt zu schielen. Ziemlich unprofessionell, aber vorteilhaft für mich. Der Typ wird sich später garantiert nicht mehr an mein Gesicht erinnern.
Der Fahrstuhlführer hält eine elektronische Karte vor einen Sensor in der Wand und dann fahren wir nach oben.
»Das war vielleicht ein Arschloch«, flüstert Erica. »Hast du gesehen, wie der mich angegafft hat?«
»Kann man ihm kaum verübeln.«
Sie grinst und drückt meinen Arm.
»Bei dir nehm ich das als Kompliment.«
Der Fahrstuhlführer neben uns starrt krampfhaft die Wand an. Er gibt sich alle Mühe wegzuhören.
»Die Wohnung des Bürgermeisters«, sagt er schließlich.
Die Aufzugtür öffnet sich und wir betreten einen kleinen Korridor. Normalerweise hätte ein solches Luxusapartment einen separaten Aufzug, der direkt ins Wohnzimmer oder den Flur führt. Dieser Korridor dient wohl als eine Art Sicherheitszone. Was einiges über die Bedeutung der Bewohner verrät. Dieser Bereich lässt sich garantiert von beiden Seiten abriegeln, sodass man zwischen Wohnungs- und Fahrstuhltür gefangen ist.
Gut zu wissen.
Aber wir sind noch nicht am Ziel.
Man hat noch andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Zwei Typen in dunklen Anzügen.
Eindeutig keine Polizisten, sie gehören bestimmt zum festen Inventar.
Die fackeln nicht lange. Das sieht man sofort.
Der eine steht allerdings zu dicht am Fahrstuhl. Jeder, der durch die Aufzugtür kommt, könnte ihn sofort ausschalten.
Der andere hat sich günstiger postiert. Er steht an der gegenüberliegenden Wand mit dem Gesicht zum Aufzug. Von dort hat er alles im Blick. Er ist ganz bei der Sache. Taxiert unsere Gesichter, unsere Hände, meinen Hosenbund. Ein echter Profi.
Ich bin beeindruckt.
Als wir an ihm vorbeigehen, nickt er mir zu. Mit diesem Nicken grüßen sich Soldaten und Sicherheitsbeamte auf der ganzen Welt. Er scheint irgendwas an mir bemerkt zu haben. Aber vielleicht folgt er auch nur seinem Instinkt. Er nickt mir zu wie einem heimlichen Verbündeten.
Beinah nicke ich zurück.
Ein Impuls, den ich gerade noch unterdrücken kann.
Nur ein Nicken und alles wäre aus. Wenn der Typ so gut ist, wie es scheint, könnte er mich ganz schön ins Schwitzen bringen.
Aber ich tue so, als hätte ich sein Nicken nicht bemerkt. Und fahre sofort meinen Energielevel um eine Stufe runter.
Dieser Profi ist gefährlich. Ich muss ihm möglichst aus dem Weg gehen.
Sein Partner öffnet uns die Wohnungstür. Kein Nicken.
Wir betreten das Penthouse des Bürgermeisters.
Ich habe etwas total Protziges erwartet. Eine feudale Eingangshalle mit zehn Meter hoher Decke und einem Kronleuchter so groß wie ein Kleinwagen. Immerhin ist der Mann Milliardär.
Aber nichts dergleichen.
Stattdessen finden wir uns in einem wohnlichen Flur wieder.
Warme Farben. Bücherregale. Gedämpfte Beleuchtung.
Zweifellos ist es eine riesige Wohnung, die eine komplette Etage einnimmt. Und doch ist es gemütlich. Man spürt, dass hier ganz normale Menschen wohnen. Manche Orte vermitteln einem sofort dieses Gefühl.
Kekse.
Das Wort schießt mir einfach so durch den Kopf.
Es gefällt mir nicht, wie es sich ganz gegen meinen Willen in meine Gedanken drängt.
Kinder kommen heim und essen Kekse.
Woran erinnert mich das? Ich muss das in irgendeinem Film gesehen haben.
Falsch. Ich habe das selbst erlebt.
Als ich zwölf war. Und noch in einer heilen Welt lebte.
Es waren Haferkekse mit Rosinen.
»Hallo, Erde an Benji, bitte kommen!«, sagt Erica
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