Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
plötzlich.
Ich schiebe meine Gedanken energisch beiseite. Ich kann es mir nicht leisten, mich von irgendwelchen Erinnerungen ablenken zu lassen. Nicht, wenn ich innerhalb von fünf Tagen den gefährlichsten Job meines Lebens erledigen muss.
Wer weiß, vielleicht erledige ich ihn ja schon heute.
Hängt ganz davon ab, ob der Bürgermeister heute Abend hier ist.
»Tut mir leid. Ich war in Gedanken.«
»Ich weiß schon, was du gedacht hast. Dass das hier ’ne Nummer zu groß für dich ist. Das denkt jeder, der zum ersten Mal bei Sam ist. Du bist doch hoffentlich nicht beeindruckt? Das wär ziemlich uncool.«
»Die Bude hier ist doch nix Besonderes«, sage ich.
»Genau! Jetzt bist du wieder der Alte. Komm mit!«
Von irgendwoher ist laute Musik zu hören. Wir gehen ihr nach und landen in einem großen Wohnzimmer. Dröhnende Bässe. Wild herumhopsende Gestalten.
Erica ist wie elektrisiert. Ihre Schultern zucken im Takt.
»Geil, was?«, brüllt sie.
Sie fängt an zu tanzen, windet sich wie eine Schlange, schwingt ekstatisch die Hüften. Ziemlich affektiertes Gezappel.
Ich sehe mich im Raum um. Ob die anderen uns bemerkt haben?
Allerdings. Sie sind offensichtlich überrascht, dass Erica den Neuen im Schlepptau hat. Mich würde noch viel mehr interessieren, ob Sam genauso überrascht ist.
»Wo ist Sam?«, fragt Erica ein Mädchen. Es deutet mit dem Finger in den Flur.
Erica steht mit dem Rücken zu mir, wackelt heftig mit dem Po. Sie wirft einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob ich ihr zuschaue.
Klar doch.
Dann führt sie mich durch den Flur.
Zu Sam.
Wir finden sie in der riesigen, hypermodernen Küche. Irgendwer scheint hier gern zu kochen. Vielleicht sogar Sam. Sie steht an der Anrichte und hackt mit einem großen Messer Gemüse klein.
»Guck mal, wen ich aufgegabelt hab«, sagt Erica und fasst besitzergreifend nach meiner Hand.
Sam mustert uns.
Sie zeigt keinerlei Reaktion. Jedenfalls keine, die ein normaler Mensch bemerken würde.
Aber ich bin kein normaler Mensch.
Ich sehe, wie sich ihre Schultern straffen, wie sich ihre Gesichtsmuskeln kaum merklich anspannen. Ein leichtes Zusammenziehen der Augenbrauen. Meine Taktik scheint zu funktionieren.
Geschickt schneidet sie eine Gurke in akkurate Würfel.
»Aufgegabelt?«, fragt sie in völlig neutralem Ton.
»Ein herrenloses Hündchen«, sagt Erica. »Hab’s von der Straße aufgelesen.«
Sie wuschelt mir durchs Haar, stolz auf ihr neues Spielzeug.
»Du bist also tatsächlich gekommen«, sagt Sam zu mir.
»Hatte wohl keine andere Wahl.« Ich deute mit dem Kopf auf Erica.
»Pass bloß auf. Sie ist bekannt dafür, dass sie ihre Schoßhündchen mästet.«
»Wenn’s weiter nichts ist. Damit kann ich umgehen.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Ihre Katze ist rund wie ein Luftballon.«
»Jetzt mach dich mal nicht über meinen Kater lustig«, sagt Erica. »Er ist ein bisschen pummelig, weiter nichts.«
Sam bläst die Backen auf. Erica schüttet sich aus vor Lachen.
Sams Blick wandert von Erica zu mir. Ein Hauch von Missbilligung spiegelt sich in ihrem Gesicht. Sie schnippelt ihre Gurke weiter.
»Was wird das eigentlich?«, fragt Erica.
»Israelischer Salat.«
»Oh, lecker!« Erica stibitzt einen Tomatenwürfel aus der Salatschüssel. »Ist wie
Pico de gallo
, nur nicht so scharf. Aber jetzt brauch ich erst mal was zu trinken.«
»Das Sprite steht da auf dem Tisch«, sagt Sam. »Und der Rest ist … «
»Im Schrank, weiß schon.«
Erica geht zu einem riesigen Küchenschrank, zieht eine Schublade auf und holt eine Flasche Olivenöl heraus. Sie gießt sich zwei Finger breit davon in ein Glas und füllt es mit Sprite auf.
»Du trinkst Öl?«, frage ich sie. »Das ist ja mal was Neues.«
»Das ist Tequila. Clevere Tarnung, was? Sams Idee.«
»Ich trau mich gar nicht zu fragen, was in der Essigflasche ist.«
Sam dreht sich zu mir um, das Messer in der Hand.
»Ich könnt’s dir ja verraten«, sagt sie. »Aber danach müsste ich dich aus dem Verkehr ziehen.«
Ich starre auf das Messer. Die feucht glänzende Klinge ist erschreckend lang. Ich schätze die Angriffsdistanz zwischen Sam und mir. Sechs Fliesenlängen.
Ich bin nur fünf von ihr entfernt.
Also mache ich einen kleinen Schritt zurück. So unauffällig wie möglich.
Aber Sams Röntgenblick entgeht nichts.
»Hast du Angst vor Messern?«, fragt sie.
»Nur wenn mir jemand damit vor der Nase rumfuchtelt.«
Sie nimmt das Messer herunter.
»Vielleicht hätte ich dich
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