Boys Dont Cry
ich.
»Ja, Jackie«, meinte Dad und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel. »Würdest du uns allen bitte erklären, was du damit meinst?«
Den Blick, den sie daraufhin tauschten, hätte sogar ein Blinder bemerkt. Die Umgebungstemperatur näherte sich rasant dem Nullpunkt.
»Tante Jackie, was hat das zu bedeuten?«
»Sei doch nicht so empfindlich, Tyler«, sagte Tante Jackie zu Dad. »Ich habe ja nur gemeint, dass du Dante helfen kannst – falls er es zulässt –, denn du musstest ihn und seinen Bruder in den vergangenen Jahren ja auch allein großziehen.«
Es dauerte ein paar Sekunden, doch dann entspannte sich Dad ein wenig, woraufhin Tante Jackie ebenfalls gelöster wirkte.
»Ach so, verstehe.«
Er vielleicht. Ich nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht.
»Wir haben übrigens auch Stühle. Ihr könnt euch doch im Sitzen weiterunterhalten«, meinte Dad. »Jackie, möchtest du eine Tasse Tee?«
»Schrecklich gern«, sagte meine Tante.
Dad machte sich auf den Weg zur Küche.
»Hast du mit deinem Vater schon von Mann zu Mann über das alles gesprochen?« Tante Jackie senkte die Stimme, als sie diese Frage stellte.
»Über was denn?«
»Darüber, wie du dich fühlst? Wie du mit der Situation klarkommst?«
»Natürlich nicht. Außerdem tun das nur Mädchen.«
Tante Jackie schüttelte den Kopf. »Dante, du bist deinem Vater so ähnlich.«
»Nein, bin ich nicht«, protestierte ich. Adam hatte das Gleiche gesagt und ich hatte es schon damals von mir gewiesen.
»Hier, ich glaube, deine Tochter möchte lieber zu dir«, sagte Tante Jacke mit einem wissenden Lächeln.
Sie gab mir Emma zurück. Zu meiner Überraschung kuschelte sich Emma an meine Schulter und beruhigte sich tatsächlich. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass sie sicher in meinen Armen ruhte, legte ich kurz meinen Kopf an ihren. Tante Jackie sah mich vielsagend an, woraufhin ich sofort wieder auf Distanz zu Emma ging.
»Was ist?«, fragte ich.
»Dante, … unterschätz dich nicht«, sagte meine Tante.
»Wie meinst du das?«
Tante Jackie seufzte. »Ich weiß noch, wie du dich zurückgezogen hast, nachdem deine Mutter gestorben war. Ich glaube, Jennys Tod ist daran schuld, dass du Veränderungen scheust.«
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte ich stirnrunzelnd.
»Ich will damit bloß sagen, lass nicht zu, dass die Vergangenheit dich hindert, dich auf deine Tochter einzulassen.«
War das ihr Eindruck? Dann hatte sie sich getäuscht. Aber ich wollte das nicht mit ihr ausdiskutieren.
Wir gingen ins Wohnzimmer.
»Hallo, Tante Jackie.« Adam sprang auf und umarmte unsere Tante ohne Zögern. Adam fielen solche Sachen viel leichter als mir.
»Hallo, Adam, wie läuft’s?«, erkundigte sich Tante Jackie. Ihre Augen wurden schmal, als sie seine kaputte Lippe bemerkte.
»Keine Sorge.« Adam lachte. »Ich bin hingefallen, weiter nichts.«
»Sonst noch irgendwelche Verletzungen?«
»Nein.«
»Hmmm … Seltsamer Sturz, bei dem du dir nur die Lippe aufschlägst und sonst nichts …« Tante Jackie war ebenso wenig überzeugt von Adams Aussage wie ich.
Mein Bruder zuckte mit den Schultern, blieb aber unverbindlich.
»Also sag, wie geht’s dir?«, fragte Tante Jackie ihn.
»Bis auf meine Kopfschmerzen ganz gut«, sagte Adam.
Ich hörte mit halbem Ohr zu, als Tante Jackie und mein Bruder über ihre Schuhe, irgendein Musical, das Tante Jackie kürzlich im Theater gesehen hatte, und ähnlich weltbewegende Themen plauderten. Ich musste immer noch daran denken, was meine Tante gesagt hatte. Emma zappelte und wollte von meinem Schoß herunter. Tante Jackie sah zu, wie Emma im Zimmer herumkrabbelte und jeden Winkel inspizierte. Sobald ich Gefahr witterte, war ich auf den Beinen, aber es ging immer gut. Ehrlich gesagt sprang ich die ganze Zeit wie ein Gummiball auf und ab, stets in Alarmbereitschaft. Emma zog sich am Sessel hoch, um aufrecht zu stehen. Dann ließ sie den Blick durch den Raum wandern und sah mich, meinen Bruder und meine Tante aufmerksam an.
»Geh zu Daddy«, sagte Tante Jackie. »Na los, Schätzchen, geh zu Daddy.«
Emma drehte sofort den Kopf in meine Richtung. Sie wusste schon, wer ich war. Diese Tatsache genügte bereits, um mir das Herz im Leib hüpfen zu lassen. War Blut doch dicker als Wasser? Gab es so etwas wie Familieninstinkte? Im Geiste schüttelte ich den Kopf. Na wenn schon. Alle möglichen seltsamen Gedanken schienen von mir Besitz ergriffen zu haben – Emma mit
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