Boys Dont Cry
lass’ dir meine Nummer da. Wenn du Rat oder Hilfe brauchst, meld dich einfach.« Sie wühlte in ihrer Handtasche und zog eine Visitenkarte hervor. Ich sah zu, wie sie auf der Rückseite ihre Handynummer notierte. Dann streckte sie mir die Karte entgegen. Ich zögerte, nahm sie dann aber. »Jetzt muss ich zu einem Termin, aber ich möchte dir noch einmal sagen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, damit Familien zusammenbleiben können. Ich bin auf deiner Seite, wirklich.«
Ja, ja, schon gut.
»Deine Tochter ist entzückend«, meinte Veronica lächelnd. »Und sie sieht dir ganz schön ähnlich!«
Ich gab keine Antwort.
»Tschüss, Emma.« Veronica streckte die Hand aus, um Emmas Wange zu streicheln, aber ich wich aus und führte sie zur Haustür. Nachdem ich sie geöffnet hatte, trat ich aus dem Weg, damit sie besser hinauskam. Sie streckte mir die Hand zum Gruß entgegen. Aber ich hatte ja Emma auf dem Arm und konnte sie nicht schütteln.
»Pass auf dich und deine Tochter auf!«, sagte Veronica und ließ die Hand sinken.
»Das habe ich vor.«
»In den nächsten Wochen werde ich noch einmal vorbeikommen oder eine Kollegin schicken, die sich mit dir und deinem Dad unterhält. Bloß um zu sehen, wie es euch geht.«
Und dann war sie weg. Ihre letzte Äußerung beschäftigte mich noch lange. War das eine Drohung oder ein Versprechen?
Wie auch immer, ich steckte in Schwierigkeiten.
32 DANTE
»Reg dich doch nicht so auf!«
»Das sagst du so einfach, Dad.« Ich brüllte fast ins Telefon.
»Dante, der Besuch war nicht einmal offiziell«, beschwichtigte Dad.
»Trotzdem war Veronica da. Und hat mich ausgefragt. Was ist, wenn sie versucht, mir Emma wegzunehmen?«
»Nun mach mal langsam«, sagte Dad. »Die Sozialarbeiterin hat das doch als letzten Ausweg bezeichnet, oder? Die Behörden würden dir Emma nur wegnehmen, wenn sie in Gefahr wäre, was offensichtlich nicht der Fall ist. Also beruhige dich.«
Begriffe, die ich im Fernsehen aufgeschnappt hatte, schossen mir durch den Kopf: »Kinder aus Problemfamilien«, »Familiengericht« und »Pflegeunterbringung«. Keine Spur mehr von dem Dante, der nur wenige Wochen zuvor am Computer gesessen und sich darüber informiert hatte, wie man Kinder in Pflege geben kann. Im Rückblick erkannte ich mich in diesem Menschen nicht wieder. Was wollte mir das sagen? Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, sie könnten wahr werden? Dads Rat folgend holte ich tief Luft.
»Dad, ich … mache mir Sorgen«, gestand ich.
»Hör mal, willst du, dass ich nach Hause komme?«
»Wozu? Veronica ist schon wieder weg.«
»Ich weiß. Aber wenn du mich brauchst, komme ich trotzdem nach Hause.«
»Das würdest du tun?«, fragte ich.
»Natürlich würde ich das«, erwiderte Dad ungehalten. »Du bist mein Sohn, Dante. Wenn du mich brauchst, bin ich im Handumdrehen bei dir. Na ja, in zwei Handumdrehen vielleicht, kommt auf den Zugfahrplan an.«
»Nein, Dad, ist schon in Ordnung«, antwortete ich, schon weniger aufgewühlt. »Aber danke für das Angebot.«
»Wenn du es dir anders überlegst, ruf einfach an, ja?«
»Mach ich, Dad.«
»Und ich arbeite heute auch nicht so lange, gegen halb sieben sollte ich zu Hause sein.«
»Gut, danke.«
»Dante, lass dich von dieser Veronica nicht verrückt machen. Emma ist jetzt bei ihrer Familie und so wird es auch bleiben. Bis später, mein Sohn.« Dad legte auf.
Es war ein gutes Gefühl … nein, ein Supergefühl zu wissen, dass Dad hinter mir stand. Zum ersten Mal machte ich mir Gedanken darüber, wie er eigentlich mit der Situation klarkam. Es war bestimmt nicht einfach gewesen, meinen Bruder und mich nach Mums Tod großzuziehen, ganz allein, dazu noch die Hypothek und all die Rechnungen. Und jetzt waren es nicht mehr zwei, sondern drei, um die sich Dad zu kümmern hatte. Ich musste schnellstens Arbeit finden. Ich musste dafür sorgen, dass alles funktionierte, ab jetzt mehr denn je.
Aber eins nach dem anderen. Erst hatte ich einen Anruf vor mir.
»Hallo?«
»Collette?«
»Am Apparat.«
Ich holte tief Luft, um den Ärger im Zaum zu halten, der aufflammte, sobald ich ihre Stimme hörte.
»Hallo?«, sagte sie auffordernd.
»Ich hatte gerade Besuch von deiner Schwester«, entgegnete ich ruhig.
»Dante? Hallo. Wie geht’s dir?«
»Ich hatte gerade Besuch von Veronica«, wiederholte ich.
»Oh, gut. Sie hat mir versprochen, bei dir vorbeizuschauen.«
Noch ein tiefer Atemzug. Es nützte nichts. »Du hast deiner Schwester von Emma
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