Boys Dont Cry
meldeten sich an der Rezeption an und gingen dann direkt ins Wartezimmer.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte die Sprechstundenhilfe, als ich dran war.
»Ja, hallo. Ich würde Emma gern hier bei einem Arzt anmelden.«
Emma beäugte die Sprechstundenhilfe höchst interessiert.
»Bist du denn schon hier registriert?«, fragte die Dame.
»Ja, ich schon.« Ich nannte Namen und Adresse und sah zu, wie sie mit kurzsichtigen Augen auf den Bildschirm zu ihrer Linken starrte. »Und wie alt ist … ähm … Emma?«
»Nächsten Montag wird sie ein Jahr alt«, informierte ich sie.
Die Sprechstundenhilfe blickte stirnrunzelnd erst den Bildschirm und dann mich an. »Hast du ihre Versichertenkarte, ihre Geburtsurkunde und ihr Vorsorgeheft dabei?«
»Mmmh? Ähm … nein. Welches Vorsorgeheft?«
»Das Heft, in dem alle bisherigen Untersuchungen erfasst sind.« Auf meinen verständnislosen Blick hin führte die Sprechstundenhilfe aus: »Impfungen, Geburtsgewicht, Größe und solche Sachen. Und außerdem brauche ich von der Person, die sie anmeldet, den Lichtbildausweis und einen Adressnachweis.«
»Einen Lichtbildausweis?«
»Einen Pass oder einen Führerschein, und eine aktuelle Betriebskostenabrechnung, auf der deine Adresse vermerkt ist.«
Mist! Ich hatte allen Ernstes geglaubt, ich wäre in einer Minute wieder draußen. »Ich habe nichts davon dabei«, sagte ich kopfschüttelnd. »Ich dachte, sie brauchen bloß Namen, Adresse und Geburtsdatum.«
Die Frau hinter dem Tresen lächelte mich mitleidig an. »Leider nein. Vielleicht könntest du dafür sorgen, dass deine Mutter selbst kommt und das Kind anmeldet, wenn sie alle nötigen Dokumente beisammen hat?«
»Meine Mutter ist tot«, entgegnete ich.
»Oh.« Die Frau wirkte verlegen. »Dann vielleicht dein Vater? Könnte er kommen und deine Schwester registrieren lassen?«
Oh Gott.
»Emma ist meine Tochter. Mein Vater ist ihr Großvater«, sagte ich, um einen sachlichen Tonfall bemüht.
»Deine Tochter?«
Geht das schon wieder los, seufzte ich innerlich. »Ja, meine Tochter.«
»Und du bist …« Die Sprechstundenhilfe wandte den Blick wieder zum Bildschirm. »Du bist siebzehn.«
»In zwei Wochen werde ich achtzehn.«
»Aha, verstehe. Vielleicht könnte die Mutter der Kleinen mit den nötigen Unterlagen vorbeikommen und …«
»Dürfen männliche Wesen solche Sachen denn nicht erledigen?«, fragte ich ungehalten.
»Doch, doch, natürlich. Ich meinte ja bloß, vielleicht ist die Mutter im Besitz der nötigen Unterlagen und könnte kommen und …«
»Emmas Mutter ist nicht mehr da«, erklärte ich und ärgerte mich wahnsinnig darüber, dieses Gespräch überhaupt führen zu müssen. »Ich sorge für meine Tochter und ich möchte sie nur hier beim Arzt anmelden.«
»Wenn du mir sämtliche Dokumente bringst, die ich aufgezählt habe, ist das auch kein Problem«, sagte die Sprechstundenhilfe.
Inzwischen hatte ich größte Lust, meinen Kopf mehrmals auf den Tresen zu knallen.
»In Ordnung«, erklärte ich. Von meinem Geduldsfaden war nur noch ein ganz dünnes Faserchen übrig. »Ich komme bald wieder.«
Ohne die neugierigen und forschenden Blicke derer zu beachten, die in der Schlange hinter mir warteten und zugehört hatten, drehte ich mich um und ging hinaus.
»Tja, Emma, das Ganze geht mir ganz schön a.d.E.«, sagte ich zu ihr, während ich den Buggy wieder auseinanderfaltete und sie hineinsetzte. »Das bedeutet ›auf die Eier‹«, erklärte ich.
»Rannnggghh … flluuuufff …«, stimmte Emma zu.
Wieder daheim, sah ich all die Dokumente durch, die Melanie hinterlassen hatte. Das hätte ich schon früher tun sollen. Und jetzt fiel mir auch ein, dass Dad mich schon einmal darauf hingewiesen hatte. Tatsächlich fand ich ein rotes Heft, auf dessen Einband in Goldschrift »Persönliche Gesundheitsangaben zum Kind« stand. Darin lagen auch einige lose Blätter. Auf einem davon fand ich Details über die Geburt. Ich erfuhr, dass Melanie sieben Stunden elf Minuten in den Wehen gelegen und einen Dammriss zweiten Grades sowie Blutverlust erlitten hatte. Lieber Gott … das klang ja furchtbar. Wer hatte Melanie während der Geburt beigestanden? Ihre Mum? Ihre Tante? Oder war sie allein gewesen? So etwas sollte niemand allein durchstehen müssen. Sie hätte es mir sagen sollen, mir die Chance geben sollen, mich an den Gedanken zu gewöhnen und in die Bresche zu springen. Ich hätte dort sein sollen. Nicht nur um Emmas und Melanies willen, sondern auch
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