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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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konnte den Ort nicht lesen (Wilna in Litauen?). Nun hoffe ich, dass dieser Brief Dich findet, wo immer Du bist – bevor Du mit den Kamerade n weiterziehst.

 
    20. Juni 1942
     
    Lieber Heinrich,
     
    nun ist es passiert, um zwei Wochen zu früh zwar, aber es ist doch gut, wie es ist. Wir s ind Eltern geworden, Du und ich! Ich konnte den angefangenen Brief, schon vor einer Woche fing ich ihn an, nicht mehr zuende bringen. Wir habe n eine kleine Tochter, Heinrich, Du bist Vater! Ich wünschte, ich könnte Dich in meine Arme schließen, so freu e ich mich, und so stolz bin ich, und Dir das Kind entgegenhalten. Das Mädchen ist ganz gesund . Die kleinen Fingerchen und Zehchen, weißt, alle zehn, oben wie unten ganz klein, und sie hat schöne hellblaue Augen, wenngleich noch die Haare fehlen, wie es ist bei den Neug eborenen. Sie ist ein schönes Kind und wird einmal eine schöne Frau werden, das spüre ich.
    Ich bin glücklich, nicht mehr so erschöpft wie gestern und vorgestern, aber es war schwer. Du weißt, wie es uns Frauen geht, wir sollen nicht klagen, hat Irma Schilling immer gesagt, wenn sie wieder ins Haus gerufen wurde – nicht klagen, weil man doch nichts ändern kann. Aber wie ich lag – es fing am frühen Abend an, als ich schrieb und gleich den Tisch decken wollte –, es hat mir den Leib zerrissen, und mir sind die Schreie aus dem Mund geflutscht , auch wenn ich mir fest vorgenommen hatte, nicht zu schreien. Es geht anderen Frauen nicht besser . Ich erinnere mich noch, wie die Mutter mit Arthur niederkam und schrie und schrie – und richtig schlimm wurde es, als sie überhaupt nicht mehr schrie, weil sie schon gestorben war, und nur der Junge schrie, unser kleiner Bruder.
    Ich war mir sicher, dass bei mir auch etwas nicht stimmte, dass ich im Kindbett heimgerufen würde wie meine Mutter vor zehn Jahren. Aber ich war wohl unnötig ängstlich, weil ich nicht wusste, wie das Gebären ist. Dass mir das letz te Stündlein geschlagen hatte, dachte ich , so weh tat es unt enrum, bevor die Kleine endlich das Köpfchen zeigte und ans Licht kam. An manches erinne re ich mich überhaupt nicht. Christian Prudöhl war da, die ganze Zeit, aber ich glaube, ich lag zwischendurch in einer Ohnmacht, eben weil ich überhaupt keine Erinnerung daran habe. Es soll schnell gegangen sein, sagt er, kurz nach Mitternacht war sie auf der Welt . Da sah ich Minna lächeln, und das nasse Kindchen lag auf meinem Bauch. F altig war sie . W ie eine frisch abgezogene Schweinehaut sah sie aus.
    Nun weiß ich nicht, wie ich sie nennen soll? Es ist eine so persönliche Sache, da muss man sich austauschen u nd gründlich abwägen. Es ist kein Siegfried geworden, sondern nur ein Mädchen. Sollte ich sie dann Bringfriede nennen, habe ich überlegt? Es klingt aber doch zu komisch, wie im Mittelalter auf einer Burg . Nun möchte ich Dir schreiben, was ich meine: Ich finde, das s Ilse ein schöner Name ist, schmuck und doch schlicht, ohne Eitelkeit. Ilse, Ilsechen.
    Was denkst Du darüber, Heinrich? Wenn Du an der Front etwas Zeit hast, dann denk e beim Schießen und Marschieren in Russl and darüber nach. Ich warte auf Nachricht, bevor ich das Kind auf die Kirche bringe. Aber lass es mich bitte bald wissen, ein Kind braucht einen richtigen Namen, auch wenn es noch so klein ist, d ass die Äuglein kaum aufgehen. M an weiß nie, was kommt. Als Taufpaten, habe ich gedacht, könnten wir Minna und Hellmuth Lobgott nehmen? (Dr. Prudöhl würde mir viel b esser gefallen, aber er sagt selbst, dass er es mit Gott nicht so genau nimmt. Ich glaube, er hat überhaupt keinen Glauben in sich. Lobgott wiederum ist ja ein ganz und gar unpraktischer Mensch, aber er hat ein Gespür für alles Schöne, für die Musik, er hat doch auch mich unterrichtet, ist gläubig und ein guter Freund des Vaters. Da meine ich, es kann nicht falsch sein? )
    Ich weiß nicht, wann wir uns wieder sehen und in die Arme schließen, mein lieber Mann. Ich bete, dass es bald ist, dass Du wieder zu mir kommen darfst, und dass die Russen immer vorbei schießen mögen, wenn sie Dich aufs Korn nehmen. Jeder Krieg reißt Wunden, man hört von so vielen, die im Osten, in Russland sind. Ach, wir dürfen nicht – auf den Nuschnik gehen, verstehst du mich?
    Bevor Ilse kam, war ich oft melancholisch und habe gegrübelt. Ich will doch nicht, dass aus meinem Herzen eine Höllengrube wird.
    Nun sind wir schon eineinviertel Jahr in Liebfelde . Es sind noch viel mehr gekommen, seit Du das letzte

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