Braeutigame
wir eine neue gefunden. Aber die Gefühle brauchen immer etwas länger, bis sie sich neu eingerichtet haben.
Vater geht viel übers Land. Die Äcker, die wir haben, sind nicht alle gut. Er sagt, die hi n zur Obra liegen in einem Tal und sind zu feucht, wegen des Flusses. Da ist zu viel Wasser und wohl auch Salz, er weiß es selbst nicht genau. Popscha wächst sogar auf dem guten Land nicht, wir haben es versucht , es fault ; auch Saubohnen nicht, Sudangras nicht, es ist viel zu k alt. Mir fehlen unsere guten Padlaschana – und Knoblauch und Kraut und Pfeffer… Sogar die Kerpsen, die sie hier haben, sind anders. Es gibt nur wenige , und sie sind blass und schmecken nach nichts . Die Kühe machen sich auch nichts aus ihnen, die fressen Gras und Heu. Alles ist anders. Neulich haben Minna und ich eine Gier bekommen, und dann haben wir beim Krämer in Liebfelde nach Mohn gefragt. Den kannten sie überhaupt nicht ! I n die Apotheke wollten sie uns schicken, stell es dir einmal vor. K omisch angesehen haben sie uns, als wären wir irre.
Sie pflanzen Gerste und Roggen . Kartoffeln natürlich. Das werden wir ausbringen, meint der Vater, wenn wir genug Saat kriegen, genug gute Saat. Wir haben kaum Geld, und die Saat, die sie im letzten Jahr verteilt haben, war großteils a lt, und sie ging nicht auf, nur wenige Triebe. Vater kennt sich auch nicht recht aus damit. Ich sage natürlich nichts, aber er kommt von der Bauernstelle in der Steppe . Hier ist es anders.
Lobgo tt ist so ungeschickt in allem. Es wird sich nicht mehr ändern. Wegschicken können wir ihn nicht. Er versteht nur die Musik, sonst v ersteht er nichts, und Musik mach en sie hier nur in den Städten. Das Musizieren fehlt ihm. Er arbeitet auf dem Feld mit, aber es ist fast nichts nütze. Er versteht es nicht und versucht doch, in alles eine Ordnung hineinzubringen, die dort nicht hingehört. So macht er allen das Leben schwer. Aber man möchte ihn auch nicht immer ermahnen, er meint es gut. Vorgestern hat er versucht, unseren Morgen durcheinander zu bringen. Wer in der Früh das Geflügel füttert und nach den Eiern sieht (wenn unsere störrischen Hühner denn ein Einsehen hatten und eines oder zwei im Stall gelegt haben, ohne es anschließend selbst zu zerdrücken), wer das Feuer anfacht, den Hafer rührt, den Tisch deckt. L ächerlich ist es gewesen. Er hat wohl bis jetzt nicht verstanden, warum keiner et was zu seinem Unsinn gesagt hat. U nser Lobgott. Wenn er so weiter macht, wird er noch ein richtiger To l lpatsch. Er braucht etwas zu tun. Aber hier hat er nichts, was er machen kann. Nur Arbeit macht er.
Prudöhl reitet von Hof zu Hof und in die Dörfer. Er ist ein kluger Mann und er hilft, wo er kann , bei den Geburten und den Kranken, die sie hier haben, und wenn einer im Sterben liegt . Bezahlen können ihn nicht alle, aber e r bringt doch vieles mit – Saat und Vorräte, eine braune Glucke in der vergangenen Woche sogar, die schon ein Ei gelegt hat! Er ist eine g roße Hilfe. Am Abend liest er bei Kerzenlicht die Bibel und was er hier finden kann. Aber er ist immer bei guter Laune. Er gefällt mir. Er hat das Praktische in sich.
Arthur hat ein paar Freunde a uf den anderen Höfen gefunden. E r ist viel draußen und spielt und fischt. Gerade bastel t er sich zwei Angelruten, dass er im Mai wieder an den See gehen kann. Eine Schule für die Umsiedler haben sie hier, am anderen Ende von Liebfelde . Er geht zu Fuß dort hin, eine halbe Stunde hin, eine halbe zurück. Wir wollen ihm ein Rad suchen, aber wir haben noch keines gefunden (jedenfalls keines, das wir bezahlen könnten). Er singt viel. Seine Stimme ist noch hoch und schön. Nur sein Lied macht mich traurig: Maikäfer flieg , singen sie hier, dein Vater ist im Krieg – und wie das Pommernland abgebrannt ist. Ein betrübtes Lied, aber die Kinder und die Frauen kennen es alle und singen es oft. Bei den Pimpfen ist er auch seit kurzem und mächtig stolz. W ie ein Großer fühlt er sich.
Lilli ist e in tüchtiges Mädchen – still , aber zuversichtlich. Sie hat ein Heftchen angefangen, in dem sie alle unsere Leipziger einträgt, wenn sie etwas erfährt. Wer jetzt wo lebt und wie es ihnen ergangen ist. Damit wir, wenn wir uns wieder sehen, nichts vergessen haben . Irma Schilling ist gar nicht weit weg untergekommen, Daljewo heißt es, ein Dorf wohl. Ich habe sie noch nicht getroffen, aber sie hat einige Zeilen geschrieben, als sie von uns erfuhr. Der Russe ist gar nicht mehr in Leipzig, sagt
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