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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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drehte ihren Kopf langsam zur Seite. Es schmerzte, der Hals war wund und geschwollen. Sie sah sich um. Irma Schilling mit blutigen Lippen und einem blauen Auge, ein Feuer, ein Topf – Frau Schilling kochte… Alma sah an sich herunter und bemerkte, dass sie fast nackt war. Oben lagen ihre Brüste offen. Sie hatte Schorf auf dem Bauch, dort, wo ihre Beckenknochen hart aus dem Leib stachen, auch am linken Arm, unten und oben bis hinauf zur Schulter, Striemen, als wäre sie mit einem Gürtel geschlagen worden oder einer Peitsche…
    Sie erinnerte sich nicht. Was war mit ihr geschehen? Sie hob ihre Hand, um mit den Fingern die Schlüsselbeine und ihren ausgetrockneten Hals abzutasten, sie sah ihre Hand, drehte sie hin und her, ungläubig, dass sie ein Teil ihres Körpers sein sollte, verbunden mit ihr, ihren Armen, ihrem Rumpf, ihrem Kopf. I hre Kette… ihre Kette war weg , der Anhänger mit den Fotografien in schwarz und weiß, die aufeinander lagen, wenn man ihn zuklappte.
    Ihr fehlte die Erinnerung, sie hatte das Gefühl für Zeit verloren. Sie suchte nach dem, was geschehen war, ihr Kopf fühlte sich langsam an, träge, wie verklebt. Sie saß mit angelehntem Rücken auf dem Boden – es musste ein Stall sein in diesem Ort, in dem sie zuletzt waren –, ließ ihren Oberleib vor und wieder zurück pendeln, immer wieder, es fühlte sich gut an, die Augen geschlossen, in ihrer Erinnerung suchend. Was war mit ihrer Hand geschehen? Wann hatte sie das Kettchen verloren? Arthur – jetzt kamen die Namen zurück…  – wo waren Minna und Arthur und die anderen, die Mulis, ihr Treck, das Lager?
    Irma Schilling kniete vor ihr und wischte ihr die Stirn. Sie hatte ein Fläschchen Kölnisch Wasser in der Hand – es war das von Frau Glück – und tupfte Alma den Leib ab, den Kopf, die Brüste, die Hände, die Scham, alles, was wund war – es brannte zwischen ihren Beinen, aber der Alkohol kühlte auch. Ihre Finger, braun von getrocknetem Blut, spürte sie nicht. Sie sah sie, aber sie nahm sie nicht als Teil ihres Körpers wahr. Sie musste husten.
    Oben die Balken. Ein besudelter Taubenschlag unterm Dach, eine dicke, weiße Schicht, aber keine Vögel, alle ausgeflogen, nur Dreck überall , die Kötel… Leute saßen am anderen Ende der Scheune zu beiden Seiten des Tors. Frauen, kleine Kinder, schmutzig alle, die Kleider, die Gesichter , die Fußsohlen schwarz. E in einziger Mann dabei, soweit sie sehen konnte, ein Greis mit einem Gehstock, zusammengekauert, in eine Decke gehüllt , die Augen zu, nicht mal ihre Nacktheit interessierte ihn .
    „… viel schlimmer sein können, Kind“, sag te Frau Schilling. Alma fiel die Stimme auf – plötzlich . Sie hatte sie nicht wahrgenommen; es klang, als hätte Irma Schilling schon länger mit ihr gesprochen. „… lebst… dass die Sachen weg sind, nun auch das noch…“ Irma Schillings Lippen bebten putzig, dachte Alma. Etwas stimmte nicht mit ihren alten Nerven. „Von Glück sagen kannst, Kind“, sagte Irma Schilling. „Das eine Mädchen – die kleine mit den dunklen Augen, aus Danzig die, weißt – kennst du doch, das hübsche Ding mit den braunen Zöpfen…? Die haben s ie…“ Sie senkte ihre Stimme. „… mit der Zunge auf einen Tisch solle n sie das arme Ding festgenagelt haben, und dann haben sie sie genommen. Mit einem Nagel, wie man sie für Dachbalken nimmt. Stundenlang hat sie da gekniet und konnt e sich nicht rühren, bis ihre Schwester, die ältere, sie gefunden hat. Kaum los gekriegt haben sie das Kind, hat ja keiner eine Zange im Gepäck, um Nägel aus altem Holz zu ziehen – woher soll man’s nehmen in dieser – gott ver damm ten – Gegend? Ob das mit dem Sprechen nun noch mal was werden wird, muss man sehen. Seitdem hat sie nichts mehr gesagt. Kein Wort.“
    Als Alma das nächste Mal aufwachte, atmete sie ruhig, ein und aus, ein und aus, sie konzentrierte sich darauf zu atmen. Sie wollte ihre Augen nicht öffnen, in schwarzer Geborgenheit bleiben, für immer. Sie spürte nichts, fühlte nichts, sagte nichts, atmete nur. Die Sachen sollten weg sein, dachte sie – was hatte Frau Schilling erzählt? Von gestohlen und verstreut… Hildchen Glück hatte nur noch das Kleid, das sie trug, ihr Mantel war weg. Woher wusste sie das? Hatte man es ihr gesagt? Sie erinnerte sich nicht. Aber sie wusste, dass Frau Glück nur noch das eine, von Kuhdreck besudelte Kleid hatte, und dass sie si ch ein paar Rippen und Finger gebrochen ha t te.
    Sie hörte Stimmen, weit

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