Braeutigame
runter.
Sie stand auf, streckte eine Hand aus und öffnete vorsichtig eine der kleinen Scheiben, aus denen sich das Fenster der Werkstatt zusammensetzte.
„Was ist das Gelbe da hinten?“, hörte sie Arthur fragen. „ Minna – nun sieh es dir doch einmal an. Da, hinter der Wiese, siehst du? Das gelb e Feld . Was sind das für Blumen, dass sie ein ganzes Feld damit anbauen? Sonnrosen? “
Minna sah auf, ließ ihr nasses Haar auf den Boden abtropfen, wrang es aus. „Raps“, sagte sie. „Rapsblüten.“
„Warum machen sie das? Kann man die essen?“
„Für Maschinen sind die. Maschinenöl, Werkzeugöl… – ich weiß nicht genau . Essen kann man die nicht. S ie sind bitter und streng, die fressen nicht mal Tiere.“
„Tiere gibt e s hier keine.“
„Hat es aber mal gegeben. Ist nicht alle Tage Krieg.“
„Meinst du , die haben hier auch Kühe? Und Kerpsen?“
„Glaube ich nicht. Die Kühe sind sicher alle tot . Kerpsen weiß ich nicht. Sie sagen alle, dass sie die hier anbauen , in diesem Wald. Rübchen und Kerpsen und alles mögliche Kraut.“
„Horch ! “ Arthur hielt sich den Finger vor die Lippen.
„Was?“, flüsterte Minna.
„Pscht!“
Minna hörte den Wind, der durch die Baumkronen strich, das Brummen von Fliegen, in der Ferne Kampfgeräusche. Taktaktak.
„Was ist das?“, fragte Arthur.
„ D ie schießen.“
„Hier?“
„Hörst es ja.“
„Sind das die Russen?“
„Will ich meinen. Die Engländer und die Amerikaner haben im Westen zu tun. Hier hält die nichts. Da schon wieder… – tak tak tak bu m. Da sind Geschütze. Artillerie.“
„Von Cottbus?“
„Weiß nicht. Das ist weit we g. Ich glaube nicht, dass man e s hö ren würde. – Aber wer weiß? Ein schönes Remmidemmi .“
„Müssen wir wieder weg von hier?“
„Du fragst Sachen… woher soll ich das wissen? Ich bin gerade ers t aufgestanden. Frag Frau Glück oder Frau Schilling. Wo sind die überhaupt?“
„In den Ort gegangen. Heute früh. Nach Lübbenau.“
„Und da?“
„Essen suchen. Da soll es ein en Markt geben, wo alle Bauern hinfahren. Die aus dem Spreewald. Minna?“
„Hmm?“
„Meinst du , wir sind hier sicher?“
„Pah, das will ich meinen. Heute jedenfalls – und morgen auch noch, wollen wir h offen. So ein Nest wie hier, interessiert sich keiner für. Solange die uns hier nicht mit Steinen bewerfen und uns verjagen, weil sie ihre Kartoffeln selber verspeisen wollen… Ich hab e keine Lust mehr, mir Sorgen zu machen. Ich hab e genug. So lange ziehen wir rum , dass ich nicht einmal weiß, wo ich bin, wenn ich aufwache, und was für ein Wochentag ist und wer gerade gegen wen kämpft.“
„Heute ist Mittwoch“, sagte Arthur. Er schaute sie verwundert an.
19. April 1945
Mein geliebter Heinrich,
es ist fast ein Jahr, dass ich von Dir gehört habe. Ich habe jeden Tag an Dich gedacht und viel geschrieben, immer wieder, aber ich habe nichts schicken können. Du weißt, wie es steht um unser Land. Das Schreib en fällt mir noch immer schwer. Meine Hände habe ich mir zugerichtet, ich ungeschicktes Ding. Auf der Flucht aus Liebfelde ist es passiert, da habe ich geholfen, und die Finger sind mir beim Schieben in ein Wagenrad geraten. Sie heilen mir schwer, wir hatten kein Verband zeug mehr, keine Salbe, und das scharfe Jod fehlte, wie es an allem fehlt. Hilde Glück – die Schlesierin, die mit Irma Schilling zusammen geht – hat mir eine Salbe gemacht, so gut es eben ging, aus Löwenzahn und Kamillen . Die hat sie mit Honig und Wasser zu einer Pampe gerührt, und es hat tatsächlich geholfen und sich nicht entzündet. Frau Glück sagt, es ist ein Wunder, dass ich keinen einzigen Finger verloren habe. Ich kann jetzt wieder einen Löffel und den Bleistift halten, nur dass alles, wenn ich schreibe, schief und krumm ist , so wie dies hier . Es lässt sich nicht ändern.
Jetzt blüht wieder das erste Schöllkraut in den Gräben, und sie sagt – also Frau Glück – , die Milch aus den Stengeln – ein dicker & bitterer Saft ist in den Stengeln, wie Blut, nur tief gelb – soll ich mir auf die Narben machen, dann würde es besser heilen. Sie versteht sich auf diese Dinge. In Schlesien kennen sich die Frauen alle damit aus, so wie die alte Zedel in u nserer Heimat, die Bulgarin, deren Gebrabbel nie einer verstanden hat. So wird dann alles gut abheilen, hoffe ich, aber es braucht Zeit. Jede Wunde braucht Zeit.
Wir sind in einem kleinen Werkschuppen untergekommen (eine
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