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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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Höschen und das linke Bein hinunter bis auf den Unterschenkel und in die Schuhe, aber niemand merkte es, weil alles andere an ihm auch nass war, sein Hemd, die Jacke, die Strümpfe und Schuhe.
    Als er das Schießen und Schreien hörte , war er los gelaufen, hinter dem Schloss an Alleebäumen entlang, dann durch Sträucher und Bäume am Flüsschen zu dem Teich , an dem er hatte angeln wollen. Er sprang in das flache, kalte Wasser am Ufer, tauchte ein, hielt nur den Kopf über Wasser, watete ins Schilf. Wäre ein Russe gekommen, um ihn zu holen oder auf ihn zu schießen, wäre er untergetaucht und hätte die Luft angehalten, so lange, bis ihm die Lungen geplatzt wären. Er suchte sich ein Schilfrohr, durch das er unter Wasser atmen wollte wie durch einen Strohhalm, aber er wusste, dass das schwierig war.
    Niemand kam. Erst n ach einer Viertelstunde spürte er die Kälte. Ihm war auf einmal so kalt, dass er langsam durch den flachen Teich ans andere Ufer watete , fröstelnd hinter einen umgestürzten Baumstamm kroch und sich mit alten, trockenen Blättern zudeck te, so gut es ging. Er horchte und blieb so still und regungslos liegen , dass ein Entenpaar ans Ufer kam, um ihn herum ging und schnatterte. Arthur schloss die Augen und konzentrierte sich. Er versuchte, die Geräusche zu verstehen, zu deuten, was im Dorf und im Lager geschah. Er hoffte, eine vertraute Stimme aufzuschnappen – Minna, Alma, Frau Schilling, Tante Hildchen. Aber er hörte nur die röhrenden Panzer, Schüsse, das Schlagen von Hufen und Schreie auf Russisch und in einer anderen Sprache, die er nicht kannte.
    Schließlich stand er auf und machte sich vorsichtig auf den Rückweg nach Golchow. Als er näher kam, blieb er geduckt hinter einem Wagen stehen, dessen Plane verbrannt war. Es roch süß, nach brennend em Fleisch . Er zitterte übera ll, aber er merkte es nicht . Fünfzig Schritte vor sich sah er Irma Schilling. Sie kroch mehr als dass sie ging, auf ihren Knien, und sie war fleckig im Gesicht, rot und schwarz, er hätte sie nicht erkannt, wenn sie nicht ihren Rock getragen hätte, in dem sie aus dem Wartheland gekommen war. Sie kroch zu Alma, s agte nichts, wischte sich nur mit dem Handrücken durch s Ges icht . Sie bewegte sich eigenartig, dachte er, als hätte sie Schmerzen. Er sah, wie sie aufstand – es sah aus, als würde sie an Alma hochklettern wie an einem Seil. Frau Schilling ruckelte herum, zog oben einen Nagel aus dem Holz, einen dicken Stift, wie der, an dem ihr Komm im Eiskeller gehangen hatte, und Almas Arme fielen herunter. Sie kippte vornüber auf Frau Schilling, er hörte einen spitzen Schrei, der nicht von der Hebamme kam, sondern von seiner Schwester.
    Arthur war schlecht. Er sah langsam an seinem rechten Arm entlang, sein Ellenbogen, das zerfranste Ende seines nassen, kalten Mantelärmels, die blutigen Abschürfungen auf der Obersei te seiner rechten Hand, die grauen Fingernägel, die Angelrute, die Schn ur, an deren Ende noch ein roter , fest ve rknoteter Faden hing.
    Dann drehten sich seine Augen ins Weiße, und er fiel um.
     
    Als Alm a zu sich kam, spürte sie den kalten Boden unt er sich. Sie lag auf dem Rücken unter einem Dach mit Holzbalken, das sie nie zuvor gesehen hatte, und hatte sich besudelt, hintenrum, es war weich und feucht, es musste das Große gewesen sein, sie lag in ihrem eigenen Dreck. Sicher stank sie, aber sie roch nichts, ihre Nase roch überhaupt nichts. Es war auch egal, sollte es riechen wie die Pestilenz, es machte ihr nichts aus. Ihr Höschen war weg, nanu, dachte sie träge. Sie spürte nichts, keine Schmerzen, keine Freude, sie hörte nichts. Stumpf war sie geworden, es fühlte sich nicht einmal schlecht an, das Stumpf-geworden-sein, wie Geborgenheit kam es ihr vor, wie damals, als sie ein kleines Mädchen gewesen war… – vielleicht ging es so den Kindern im Mutterleib, die sich um nichts kümmern mussten, bis sie ins Licht gedrückt wurden und zu schreien anfingen. Es drang nichts in Almas Ohren, in ihren Kopf. Sie war taub, jenseits aller Empfindung.
    Sie legte ihre Handflächen auf den Boden – spürte lehmige Erde und Strohhalme, trockene Halme, sie musste in einem Stall sein oder in einer Scheune, es war kein Zimmer, das Menschen bewohnten, nein, sicher nicht… – und suchte mit den Fingern nach Halt. Sie spürte, wie ihr leerer Bauch einknickte, wie ihr Oberleib, ihre Brust, ihre Schultern, ihr Kopf – wie alles sich langsam hob, weg von der Erde. Ihr war schwindelig.
    Sie

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