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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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entfernt, wie aus einer anderen Wirklichkeit . Ihr Magen gurgelte laut. Es musste lange her sein, dass sie gegessen hatte. Sie spürte ein Würgen aufsteigen, beugte sich vornüber, übergab sich, aber es kam nichts heraus, ihr Bauch zog sich zusammen, ein Krampf , und es zeigte sich dennoch nichts, sie hatte nichts gegessen. Frau Schilling gab ihr etwas Heißes zu trinken, Wasser mit einem Kraut. Sie schmeckte nichts.
    Eine Stunde saß sie in der Scheune, die Knie in ihren Mantel gewickelt, dann spürte sie, wie der Schmerz kam, die Erinnerung, Durst. Sie fühl te sich, als ob sie sterben müsst e, wenn sie nicht sofort kaltes Wasser auf ihre brennenden Lippen bekäme. Sie hörte, wie jeman d schrie. Später merkte sie, dass sie selbst es war.
    Irma Schilling kroch auf allen v ieren zu ihr, la ngsam und ungelenk, die alte Frau schob mit den Händen einen Eimer vor sich her, es sah komisch aus, wie sie sich anschlich, als wär e sie nicht normal im Kopf wie früher ihr Gustav . Alma setzte den Zinkeimer an ihren Mund und trank Wasser. Ihre Finger sahen aus wie blutige Krallen.
    Sie erzählten ihr, dass sie fünf Tage lang stumm geblieben wäre. Arthur sagte es, Irma Schilling nickte. Sie hätten schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Dass sie Schaden genommen hätte im Kopf und für immer stumm bleiben würde.
    D ann sagte sie doch etwas, am Morgen nach der fünften Nacht, die sie zusammen mit den anderen, die noch bei ihnen waren, in der Scheune geschlafen hatten. Sie wachte auf, auf dem Rücken liegend, ein fleckiges Schaffell auf ihrem Bauch. Sie formte ihre Lippen zu e inem Kreis: „Oh . “
    Sie wuss te selbst nicht, was es sollte. Irma Schilling und Minna kame n gleich angelaufen und plapperten ohne Ende auf sie ein, dass es in den Ohren schmerzte. Arthur stand vor ihr; er trug andere Stiefel, die sie nicht kannte. Sie waren ihm viel zu groß. Er lachte laut. Die ganze Zeit schien er zu lachen, wenn er nicht hustete , er schien glücklich zu sein . Sie verstand nicht warum.
    Ihre Hände brannten noch immer, wenn Irma Schilling sie mit heißem Wasser begoss. Es fehlte Haut, oben und unten.
    Minna erzählte ohne Pause. Was sie unter dem Stroh gemacht hatte – gebetet hatte sie, immer wieder das Vaterunser von Lobgott, Vater unser das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit – die Russen mit Gewehren und Bajonetten – wie sie ihre Augen geschlossen hatte und nicht mehr atmete – wie der eine, dessen Gestank sie noch im Stroh riechen konnte, sich umdrehte und wieder aus der Scheune ging und wie sie ihm eine Mistgabel in den Rücken stieß , und es knirschte, als die Spitzen auf die Knochen traf en und der Russe einfach nach vorn kippte, mit der Gabel im Rücken, ein Junge war es, keine zwanzig – die Stimmen, die sie hörte, ihre Angst – wie sie sich vor Angst erst nicht rühren konnte und schließlich gelaufen war, weit weit weg gelaufen.
    Alma fasste sich mit d er bess eren Hand an ihren rechten Zopf , verklebt von hart geworden em Blut, das sie herauspulte. Sie spürte am Ansatz, wo die Hornspange im Haar steckte, etwas Hartes. Eine der beiden Kapseln wa r noch da: Prudöhls Geschenk.
     
    Sie blieben drei Wochen in der Scheune. Selbst wenn sie gewollt hätten, hätten sie nicht weiterziehen können. Es machte ohnehin keinen Sinn mehr: Die Front lag jetzt vor, nicht hinter ihnen. Sie konnten noch immer u mkommen , aber die Eile, die sie angetrieben hatte in Liebfelde , im Obra-Bruch, an Oder, Bober und Neiße, war überflüssig geworden. Die Rote Armee zog vor ihnen her. Sie konnten nun ihrem Ende entgegen kriechen, wenn sie wollten, oder springen und eilen – e s würde nicht den geringsten Unterschied machen. Immerhin hatten sie, wo sie schliefen , Brennstoff: Stroh und altes, nach Jahren des Lagerns grau gewordenes Kirschholz. Minna, Lilli und Irma Schilling suchten auf den Feldern nach vergessenen Kartoffeln und Kraut, während Arthur jeden Tag angelte, mal mit, mal ohne Erfolg
    „Ran , Junge! Fackel nicht lang e rum, sonst kommst du noch zu spät.“ Sie hörte Hildchen Glück vor dem Stall rufen und eine Kuh brüllen. „Ran an den Euter, sag e ich – oh, oh, oh, du weißt nicht, wie man e s machen muss , Arthur. L ass deine große Schwester einmal…“
    „So“, sagte Lilli. „Siehst du – so musst du die Zitzen zwischen die Fin ger nehmen und… jetzt kommt etwa s raus. Und wie. Immer so strullern.“
    Arthur sagte etwas, das Alma nicht verstand.
    „Schau wie sie guck t, Junge “, sagte

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