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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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alte Schmiede – der Amboss steht noch in einer Ecke, und darüber hängen Zangen, Ketten und Hammer und alte Hufeisen, ganz kleine, schmale) & schlafen auf dem Boden. Arthur hustet immer mehr, ich mache mir Sorgen. Er schläft unruhig, wäl zt sich und schwitzt und hustet. Lilli und ich haben ihm aus zwei alten Uniformen eine Decke gen äht, nun hat er es wenigstens wä rm er . Er sieht nicht gut aus, das Gesicht und die Wangen ganz schmal und kindlich, er hat noch keinen Bartflaum. Du würdest ihn sicher nicht wiedererkennen . Er ist ein gutes Stück gewachsen, seit Du ihn das letzte Mal gesehen hast, aber er kommt nach Georg und Jakob. Die sind alle erst mit fünfzehn, sechzehn in die Höhe geschossen, ganz plötzlich, und beim Vater soll es nicht anders gewesen sein. (Vom Vater keine Nachricht – noch immer nichts.)
    Wir sind alle erschöpft. Der Winter war schrecklich, und es gibt noch immer nicht genug für alle. Es vergeht keine Nacht, dass wir nicht von Essen träumen. Der Körper nimmt sich, was er braucht , notfalls beim Schlafen, in den Gedanken. Ich hamstere uns Essen zusammen, wo immer ich es finde. Lilli, Minna, Irma Schilling, Hildchen Glück – wir alle sind damit beschäftigt. Wi e wir das Betteln gelernt haben & wie es mir zuwider ist tief innen drin in der Seele. Ich lasse es mir nicht anmerken, wegen der Geschwister.
    Lilli hatte Läuse. Ich habe ihr die Haare abgeschnitten. Die schönen, goldenen Haare, die ihr bis auf den Rücken fielen.
    Wie wir herkamen, habe ich russische Gefangene gesehen, ei n paar hundert . Junge Männer die meisten , mit Bärten im Gesicht. Ich weiß nicht, wo sie hin sind. Sie marschierten in einer Reihe – oder nein: Sie gingen, an Marschieren mochte man da nicht mehr denken. Sie sahen nicht gesund aus. Nach Calau hin – das ist nicht weit von Vetschau, wo wir jetzt sind – hängen sechs an einem Baum, an den dicken unteren Ästen. Links drei Deutsche – auch junge Männer – und rechts drei Russen, jeder in seiner Uniform, und man weiß nicht, was es damit auf sich hat. Wa s ist dort passie rt, frage ich mich – wer hat wen aufgehängt, und warum nur? Ich hielt mir die Hand vor den Mund und die Nase zu, als ich es sah, und konnte nicht mehr sprechen. Irma meint, sie hätten sich auf und davon machen wollen. (Die Deutschen meint sie.)
    Ich schreibe das – ich darf es nicht, wenn die NS es findet, es wäre das Ende. Aber es ist hier alles im Schwinden, in Auflösung, und ich schicke die Briefe nicht, ich bewahre sie für Dich auf, bis Du wieder bei mir bist. Niemand wird sie finden.
    Eben kommt Hilde Glück und sagt, hier im Ort – also bei uns in Vetschau – ist heute auch einer erschossen worden. Vierzehn oder fünfzehn Jahre soll er gewesen sein, kaum älter als Arthur, er soll eine Steckrübe genommen ha ben. Eine Steckrübe! Die schob er sich unters Leibchen und lief damit weg, und dann hat ihn ein Polizist erschossen, auf der Straße, und er fiel vornüber und war tot. Lieber Heinrich, es ist entsetzlich.

 
     
    „Kein Palast, nein, nein“, sagte Hilde Glück aufgeregt, als sie aus Lübbenau zurückkam. „Aber liebe Alma, unbewohnt – muss man sich vorstellen: ein leeres Bahnwärterhäuschen, in diesen Zeiten. Gut, die Fenster sind zerschlagen, das wird es wohl sein. Da hat sich noch niemand einquartiert, im Winter ist in so etwas nicht gut hausen gewesen, holte man sich den Tod. Aber wir werden den Teufel tun und zu viele Fragen stellen. Irmchen is t gleich geblieben. Wenn welche kommen und sich einquartieren wollen , vertreib t sie sie.“
    Alma musste lachen. Sie stellte sich Frau Schilling vor, die armwedelnd ihr Bahnwärterhäuschen verteidigte.
    „Nun kommt alle“, sagte Frau Glück. „Sie hat gesagt, ich soll euch gleich holen.“
    Alma war übel, als sie zu Fuß in Lübbenau eintrafen. Sie waren zu fünft. Lilli und Minna zogen den Karren über den Kirchplatz, der sich in einem Oval durch die Ortsmitte zog. Auf dem Platz standen Planwagen mit eingespannten Pferden.
    „Aus der Neumark sind die drüben “, flüsterte Frau Glück Alma zu. „Da ist der Russe jetzt. Die sind noch nicht lange unterwegs. Zwei, drei Tage erst. Kommt, lasst uns einen Zahn zulegen, dass wir zu den Gleisen komm en . Nicht dass wir Irmchen im Stich lassen und sie wirklich handgreiflich werden muss.“
    Sie richteten sich in dem Bahnwärterhäuschen ein, so gut e s ging. In der Ecke neben einem Brikettofen stand ein alter Ohrensessel, dem sie die Rückenlehne

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