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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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brachen, so dass einer bequem auf dem Polster liegen konnte. Die anderen schliefen auf dem Boden.
    „Lilli!“, rief Irmchen, als sie sich eingerichte t hatten. „Tu mir eine Liebe . Siehst du vorn neben der Tür die Treppe? Das, was mal eine Treppe war?“
    Lilli nickte.
    „ Du b ist doch ein geschicktes Mädchen. Versuch mal, da hochzuklettern und sieh nach, was oben im Haus ist. Auf mei ne alten Tage… – die Beine würde ich mir brechen, so steil ist die Stiege.“
    „Oben hängt ein Heiland“, sagte Lilli, als sie zurückkam.
    „Was sa gst du ?“
    „Ein Jesusbild. W ie die Bulgaren es haben, mit Heiligenschein und großen Löchern in den Händen, wo das Blut rausläuft und tropft . An der Wand.“
    „Wo kommt das nun her ?“
    „I ch weiß nicht. Vielleicht hat hier einer aus Siebenbürgen gelebt oder aus Slawonien oder aus dem Banat.“
    „Und sonst – nichts?“
    „Eine tote Maus und Dreck. Und Spinnweben.“
    „Keine Stühle oder ein Tisch oder ein Schränkchen? Nichts zum Verbrennen? “
    Lilli schüttelte den Kopf. „Nur der Heiland.“
    „Na. .. Vielleicht können wir mit den zwei Wagen et was anfangen, die hinter dem Bahnübergang stehen. Auf der anderen Seite der Straße.“
    „Warum stehen die da?“
    „Denen wird das Benzin ausge gangen sein, was meinst du wohl? Lauf schnell rüber und schau, ob du was findest, Kindchen. Papier vielleicht, zum Anzünden. “
    Lilli ging über die Bahngleise und zu den beiden Autos, die am Wegrand abgestellt waren. Unter den Reifen wuchsen bereits Gras und Brennn esseln; s ie mussten lang e dort stehen. Sie ging zögernd um die Autos herum. D as vordere war grau und mit Schmutz bespritzt, das andere bis auf die tannengrünen Kotflügel schwarz und gepflegt. Die runden Vorderscheinwerfer waren bei beiden abgeklebt. Lilli sah sich um und versuchte, die Türen zu öffnen. Auf der Hinterbank des grauen Autos lag ein violetter Schal mit Fransen, daneben ein Paar lederne Handschuhe. Sie hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, die Sachen mitzunehmen, und ließ sie liegen. Zu ihrer Überraschung war die Hintertür des schwarzen Wagens, eines Ope l P4, offen. Sie beugte sich hinein und sah auf dem Boden drei grüne Weinflaschen, von denen eine geplatzt und ausgelaufen war. Auf dem getrockneten Fleck lag eine halbe Seite Bauchfleisch, auf der blaugrüner Schimmel gewuchert war, dick wie ihre Hand.
    „Herrje“, sagte Lilli, ratlos, was sie tun sollte. Sie lief zurück zu Irma Schilling, die die Sache in die Hand nahm.
    „Nun schau dir die Bäume an, Kind“, sagte sie. „Ist das ein Flieder hier. Prachtvoll! Schöner als der, den ihr an der Kälber Drift hattet – diese lange Reihe vorn , herrlich. Duften tut der. .. – Siehst du die Nesseln ? Bück dich einmal und pflück die frischen Pflanzen bei den Reifen ab.“
    „Das piek s t.“
    „Hab dich nicht so. Oder willst du hungrig gehen? Was wir haben, haben wir. Lieber Nesseln im Bauch als nichts, sag e ich. Wir leben doch nun lange genug von der Hand in den Mund. “
    Am Abend saß Irma Schilling zwei Stunden lang mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden und schnitt mit dem Messer sorgfältig den Schimmel vom Schweinebauch. Die anderen sahen ihr im Schein einer Kerze aufmerksam zu und tranken italienischen Rotwein aus der Flasche . Hildchen Glück beschrieb Oppeln und Görlitz. Arthur erklärte ihnen den Unterschied zwischen Schuppenkarpfen und Spiegelkarpfen. Minna gluckste gelegentlich und starrte hungrig auf das geräucherte Fleisch.
     
    In der ersten Nacht im Bahnwärterhaus wurde Alma von einem langsam vorbeifahrenden Zug geweckt. Sie wusste nicht, wie spät es war, aber sie hatte höchstens zwei Stunden ge schlafen.
    Sie sah zu Irma Schilling hinüber , die ebenfalls wach geworden war . Ihre Blicke trafen sich.
    „Hörst du das?“, flüsterte Alma . „Da schreit einer. Ist das aus dem Zug?“
    „Verwundete“, flüsterte Frau Schilling zurück. „Soldaten sicherlich . Oder Gefangene.“
    „Wo kommen die her ?“
    „Vom Osten sicher. Denk nicht d a ran. Versuch zu schlafen, Kindchen.“
    „Wo fahren die hin?“
    „Da fragst du mich was. Nach Berlin sicher oder nach Leipzig. Wo die Krankenhäuser sind.“
    Alma lag lange wach. Sie schloss die Augen, wollte einschlafen, aber es gelang ihr nicht. Sie versuchte, die Bilder zu verscheuchen, die ihr durch den Kopf gingen.
    Die Toten am Wegrand, aufgeblähte Leichen , die umgestülpten Hosen- und Manteltasch en, die Plünderer geleert

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