Braeutigame
doch nicht um die Speise gehen, jetzt, wo wir wieder zu essen haben, nicht vi el, aber es geht, es reicht, wir hungern nicht in Wenkenbek bei Erna Kühn. Ich will Dir von einem Mann erzählen, den ich kennengelernt habe. (Ich tue es gern – aber ich weiß nicht, ob ich es tun würde, wenn ich diese Zeilen schicken könnte. Es wäre doch, ich weiß es wohl, ein kleiner Verrat.)
Konrad heißt er. Ich habe ihn einige Male gesehen, und er ist stets höflich & freundlich & behandelt mich wie eine richtige Dame, nicht wie eine einfache Bauersfrau aus dem Osten.
Er ist kein schöner Mann – nein, das wäre gelogen. Nicht hässlich eigentlich mit entstellten Zügen, aber auch nicht wirklich hübsch anzusehen. M an soll nicht vergleichen, aber Du bist doch so viel schmucker, natürlich auch jünger. Konrad ist etwas dicklich. Er hat ein Bäuchlein & isst gut, das beste Fleisch & bayerischen Käse & Schokolade & und manchmal teure Pralinen mit Nüssen. Selbst im Krieg hat er immer gut zu essen geh abt. Er war Hauptmann, ein schneidiger sicher, und seine Leute kommandiert er immer noch, auch wenn der Krieg vorbei ist. Es ist seine Art. Er hat immer Personal gehabt. Er raucht auch gerne Zigarren, aber mit dem Alkohol hält er es in Maßen. Das ist gut. Es ist nichts schlimme r, als wenn ein Mann zum Trinker wird und der Abhängigkeit verfällt.
Konrad ist ein gebildeter Mann. Nicht wie Lobgott, mehr – in der Welt verankert, wenn Du mich verstehst , nicht überstudiert . Er ist praktisch veranlagt & er weiß immer, was Sache ist, in der Politik und im Wirtschaften. Morg ens liest er – früh, vor Sonnenaufgang – die Zeitungen, die ihm ins Haus gebracht werden. Deutsche und auch ausländische, aus Frankreich und England. Ich weiß nicht, wo er sie herbekommt. Es muss alles sehr teuer sein. Er sagt, es ist für seine Arbeit wichtig. Für sein Unternehmen.
Ich war einige Male bei ihm. Er wohnt in einem großen Haus in Altona – in einem sehr großen Haus, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben könnte – wie die Häuser in Kischinjew, bevor die Erde bebte, aber auf andere Art. Ein herrschaftliches Haus, würde man sagen, aber es liegt natürlich nicht auf einem Gut, sondern in der Stadt , mit einer Straße und einem langen Park davor (einem öffentlichen) . Ich nehme mir manchmal, wenn etwas Zeit ist, auch die Zeitungen vor, die er ausgelesen hat, und die Juden-Geschichte lässt mich nicht los – die Lager, die sie überall hatten, nicht nur für die Juden, auch für and ere, die ihnen nicht gefielen , viele aus dem Osten. Es sin d die Bilder, von denen ich nicht mehr loskomme. Ach, was für Bilder d as sind, Fotografien meine ich. Menschen, Leichen, Körper, geschundene Leiber, so dünn und ausge mergelt, wie trockene Maiszapfen , und wenn sie sie tot gemacht hatten, warfen sie sie auf Haufen wie Abfall und verbrannten sie . Ich muss immer zu an Lea denken und ihre guten Eltern, Boias und Elwira, bei der ich früher gesungen habe. Und an Chaim und seine Wilma am Ring, wer weiß, was aus ihnen geworden ist i n der schrecklichen Zeit? G elähmt werde ich, wenn ich daran denke. Ich kann nicht einmal weinen. Ich bete nur, dass der gute Gott ihnen vergibt, uns allen vergibt, wenn wir schuldig geworden sind an einem. Sie sagen, Hitler habe es persönlich gewusst, er habe alles von langer Hand geplant. Es sollen Millionen sein, die gestorben sind. Millionen, Heinrich! Hildchen Glück, die wir auf der Flucht kennenlernten (die in der gleichen Nacht starb wie Arthur und Irma Schilling) hatte ganz recht. Sie sagte, alle Tyrannen sind Feiglinge, einer wie der andere. Und man kann ihr nachsagen, was man will – sie hatte Haare auf den Zähnen, aber sie hat nie eine Räuberhöhle aus ihrem Herzen gemacht, und sie hat gesagt, was sie dachte. Sie hatte das Herz am rechten Fleck.
Aber ich wollte Dir von Konrad berichten. Wir müssen sehen, was wird.
Ich bin jetzt für zw ei Tage in seinem Haus gewesen. Palmaille heißt die Straße. Es ist ein französisch er Name , sagt Rosina, seine Haushälterin , Pall-mall-je sagt man hier . Unten hat er nur die Küche und Wirtschaftsräume & ein großes Zimmer mit fließend Wasser, in dem Rosina wohnt & eine Diele mit einem Empfangszimmer daneben , wie man hier sagt , mit einer Feuerstelle . Sie heizen seit dem Krieg wieder mit Holz, nicht mit Kohle, & es riecht gut, wie auf dem Land. Im Keller wohnt Herr Krause (Willi) , der sich um den Wagen und das Haus kümmert, mit seiner Frau. Sie
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