Braeutigame
nicht auf.“
„Der ist bei der Sache. Das ist gut. Konzentration muss wohl sein, wenn man musiziert. “
„Er ist ganz bei der Sache. Aber… Es muss etwas mit seinen Augen sein. Vielleicht ist er blind . Guck , jetzt ist es vorbei, und er öffnet sie nicht.“
„Es klatscht niemand“, flüsterte Konrad zurück. „Ist es nicht gut?“
„Weil es in der Kirche ist.“
Konrad brummte.
„Wie die Engel singen sie.“
„Wer ist die da jetzt?“
„Ich weiß nicht. Eine Sängerin.“
„Die Wilson“, sagte der Mann neben ihnen. „Regina Wilson“ – er sprach es Re dscheina aus. „Amerikanerin. Sehr berühmt soll sie drüben sein überm Ozean. Schwägerin von irgendeinem hohen Tier an der Alster. Von Bach singt sie was, aus der Matthäuspassion. Aber macht ja nichts. Feiern wir Ostern eben im Mai, sage ich. Besser als nichts. Ist lang e genug her, dass sie hier anständige Musik gemacht haben.“
„Von Bach“, flüsterte Alma. Sie nahm Konrads Hand. „Komm, lass uns vorgehen. Ich will sie besser hören.“
Erbarme dich, mein Gott , sang Regina Wilson, es klang wie Er-bo-horm dic k. E ine kleine Stando rgel begleitete sie, vorn im Kirchenschiff , an der eine Frau mit hochgestecktem Haar saß und konzentriert spielte .
„Gefällt es dir?“, flüsterte Konrad ihr zu.
Sie nickte. „Sehr.“
„Wir müssen gleich weiter zum Bahnhof. Vielleicht fährt dein Zug heute pünktlich.“
„Es ist wunderwunderschön. Es ist… ich hatte es völlig vergessen.“
Kapitel 19 : Geliebter
1. November 1947
Geliebter Heinrich,
ich habe eben ein weiteres Mal an das Hilfswerk Rüb in Stuttgart geschrieben, das vierte Mal. Ich tue es alle zwei oder drei Monate. Aber sie haben immer noch nichts gefunden. Ich weiß nicht, ob sie Dich und all die anderen suchen oder nicht, ob es überhaupt Hoffnung für uns gibt. Was soll ich anderes tun? Ich kann doch nicht um Dich trauern. Du bist nicht tot, wenigstens nicht für mich, ich habe Deinen – Leichnam nicht gesehen. Aber Du bist auch kein Teil meines Lebens mehr. Ich will es nicht & wehre mich, so weit es in meiner Kraft steht. – Tut sich ein Graben auf zwischen uns, ein Graben der Zeit?
Ich wünsc hte, ich könnte weinen um Dich. Aber ich habe Dich nicht beerdigt, ich habe kein Grab, keine Asche, nichts, keinen Teil von Dir. Wenn ich doch nur trauern dürfte wie eine richtige Witwe… Bin ich noch verheiratet – heute, wo Du jetzt fast fünf Jahre weg bist, verschol len irgendwo im Osten? Verloren vielle icht, aber vielleicht doch am Leben, in einem Lager in Sibirien? So viele Tausend sollen dort noch sein . Sie schreiben in den Zeitungen davon. Sie kennen die Namen, die meisten Namen, sagen sie. Aber nirgends, nirgends Deiner. Nirgends ein Heinrich Egon Kraft aus Kosten, mein Heinrich Kraft. Soll ich mich aufführen wie eine verheiratete Frau? Oder wie eine Witwe? Gibt es Dich noch? Bist Du in Sibiren, in Kasachstan, in einem ihrer Gefängnisse in den Pripjet-Sümpfen? Ich wünschte, ich wüsste es – selbst wenn Du tot wärst, es wäre ein Elend, aber ich würde es w issen wollen, ich dürfte dann weinen, meine n Schmerz lindern, um Dich trauern, meine Wunde heilen lassen. Ich habe das Gefühl, dass mein Leben auf ein Wartegleis geschoben wurde. Wie kann ich weiterleben, ohne zu wissen, was mit Dir geschehen ist? Es ist, als ob meine Gefühle für Dich gefroren sind & erstarrt. Mal bin ich voll Hoffnung, morgens nach dem Aufstehen, wenn es Arbeit gibt und etwas zu tun. Dann wieder kommt die Verzweiflung über mich und deckt alles zu , alles zu. Es quält mich, dass Du aus meinem Leben gegangen bist – aber nicht richtig fortgegangen, nicht endgültig. An manchen Tagen hören wir hier von Männern, die aus dem Osten zurückkehren – zu ihren Frauen und Kindern, wenn sie noch leben. Sie sind alle dünn, ihr Leib ist geschunden und verwandelt & ihr Geist ist es auch. Der Krieg hat ihnen nicht nur die Gesundheit genommen, sondern auch die Freude. Das ist wohl der wahre Fluch des Krieges: dass er nicht nur den Tod bringt, sondern auch denen, die er leben lässt, die Gedanken verändert & die Seele krank macht . Sie kommen zurück, aber es sind nicht die, die gegangen sind. Die Frauen weinen erst vor Glück, und es dauert nicht lang e , dann weinen sie, weil alles anders ist, als sie es sich vorgestellt hatten. Ja, die Gott strafen will, denen erfüllt er ihre sehnlichsten Wünsche. Nun müssen sie es sich irgendwie einrichten mit ihren Männern, die
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