Braeutigame
sie in die Stadt zurück, zum Jungfernstieg.
„Wir können noch ein Stück spazieren gehen“, sagte Konrad, der sie begleitete . „ Das Wetter ist mild. Da, schau einmal aus dem Fenster. Wenn ein bisschen Unkraut auf den Trümmerhaufen gewachsen ist, sieht es gar nicht mehr so scheußlich aus. Als würde sich die Welt zudecken, und aus Grau wird Grün.“
„Ja“, sagte Alma, „wie ein Verband. Als wollte die Stadt heilen. Aber es muss trotzdem aufgebaut werden. In Brennnesseln kann man nicht wohnen.“
„U nd nachher bringe ich dich zum Zug. Allzu spät solltest du nicht fahren. Nicht dass sich die Schwestern sorgen draußen auf dem Land.“
„Hör ein mal“, sagte Alma und blieb stehen. Sie hatte sich bei Konrad eing ehakt. Nebeneinander gingen sie an Schutthald en vorbei. Sie trug die neuen Handschuhe, mit denen sie sich zugleich lächerlich und elegant fühlte.
„Hörst du das? Die Musik?“
„Mmh, sicher“, sagte Konrad. „Aus der Petrikriche, oder irre ich mich? Man sollte denken, dass man da nicht musizieren könnte, wo das Dach fehlt. Die singen selbst noch in Schutt und Asche. In der Ruine.“
„Wir würden es mit dem Dach vielleicht gar nicht hören. Wie herrlich…“
„Was singen sie denn?“
„Ich kenne es nicht. Es klingt wie ein Choral. Komm, Konrad, lass uns vorgehen, bitte! Ich habe so lange keine Musik mehr gehört. Vielleicht ist die Tür auf.“
Sie zog ihn weiter über die Mönckebergstraße, zum Portal der Kirche.
„Sind Sie denn musikalisch?“, fragte er. „Ich meine du natürlich – hast du es mit der Musik? Da hast du nie etwas von erzähl t.“
„Ahh – du hast nie gefragt. Aber… nein, ich fürchte nicht. Musikalisch bin ich nicht. Wir haben früher gesungen, bei uns im Dorf. Wir hatten eine n Küster, der uns dirigiert hat in der Stunde. Ein putziger Mann, Lobgott hieß er. Er kam mit zu uns, als wir aus Leipzig fortgingen, und auf der Flucht dann. Hellmuth Lobgott. Er sagte immer: Mut mit h und Gott mit Lob.“
„Der richtige Ansatz vielleicht.“
„Na ja, er war ein… er hatte seine Eigenarten. Früher ist es mir nicht aufgefallen – erst als ich erwachsen wurde. Mit meinem Vater ist er nach Schlesien aufgebrochen, auf der Flucht, und wir haben nie wieder von ihm gehört. Wahrscheinlich ist es ihm so ergangen wie meinem Vater.“
„Hmm. Das steht zu befürchten.“
„ Ich hatte Stunden bei ihm früher. Im Gesang.“
„Ach was!? Da musst du mir beim nächsten Mal unbedingt ein Ständchen geben – ich bitte doch sehr darum!“
„Lieber nicht. Ich bin eine schlechte Sängerin. Unser Lobgott ist verzweifelt an mir. Aber meiner Mutter, wie sie noch lebte, hat es gefallen. Wir waren ja einfache Leute. Nur unsere Nachbarn hatten ein Harmonium, die Dressners. Von Hörügel, ein gutes.“
„Hier“, flüsterte Konrad. „Die Tür ist auf. Schau, die Leute da, es sieht aus wie ein Konzert. Unter freiem Himmel – oder halb freiem Himmel, ein bisschen was ist ja schon gemacht. Zum Gl ück regnet es nicht . Entschuldigung…“ Konrad wandte sich an einen älteren Herren, der vor der Tür stand. „Wer singt hier? Wissen Sie das?“
„Der Chor der Neffenkirche.“
„In Sankt Georg? Die haben einen Chor?“
„Hören Sie doch – es klingt danach. Seit dr eiundvierzig haben sie nicht mehr gesungen. Es ist das erste Mal seit… nach den Bombennächten.“
„Sieh mal“, sagte Alma die vorausgegangen war , „es sind alles Männer. Und Jungen. Es gibt Hoffnung.“
„ Aber keine Instrumente, keine Kostüme, nichts. Dafür hat es dann doch nicht gereicht. In ihren Lumpen stehen sie da.“
„Das gehört so. Es ist ohne Instrumente gedacht. Die Musik ist alt.“
„Aha.“
„Was singen Sie? Gibt es ein Programm?“
„Oben steht alle s“, sagte der Fremde . „Auf der Kreidetafel dort unterm Gerüst. Unter den Liednummern. Heinrich Schütz.“
„ Verleih uns Frieden “, las Alma. Sie musste ihre Augen zusammenkneifen, um den Chor zu erkennen, der vor einem Ziegelstapel und einem neuen Holzkreuz stand, unter freie m Himmel. Sie sah keinen Altar. L inks und rechts von den Sän gern flackerten hohe Kerzen in der Zug luft .
„E s ist alte Musik“, flüsterte sie. „Christliches. Oh, schau sie dir an, Konrad…“
„Was ist mit ihnen?“
„Der Junge vorne, mit den Krücken.“
„Ja. Muss sich was getan haben.“
„Und hinten, der… der junge Mann. Mit den geschlossenen Augen…“
„Was ist mit ihm?“
„Er macht sie gar
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